Süddeutsche Zeitung

Fernweh:Kurzurlaub im Asia-Laden

Lesezeit: 1 min

Auch wenn es in München wärmer als auf Mallorca ist, packt Daheimgebliebene mitunter das Fernweh. Ein Kurztrip in den Asia-Laden schafft Abhilfe - wenigstens für einen Moment.

Von Laura Kaufmann

Warum in die Ferne schweifen, wenn das Gute liegt so nah, wusste einst schon Goethe. Dabei kann er kaum gemeint haben, wie befriedigend es sich anfühlt, in der sommerhaft warmen Heimatstadt zu sitzen, während Teile der Bevölkerung über die freien Tage nach Istanbul, Lissabon oder Mallorca geflogen sind, nur um dort fröstelnd in regentrübe Himmel zu blicken. Das unfeine Quäntchen Neid, dass man da verspürt haben mag, löst sich so schnell im Nichts auf. Einsam ist es in der Heimatstadt trotz grassierender Urlauberitis lange nicht. Der Hofgarten fühlt sich dank Touristen flugs nach Italien an, nur Parkplätze finden sich leichter. Kann es überhaupt noch schöner werden?

Ein nicht erforschtes, seltsames Phänomen treibt manch Daheimgebliebenen aber selbst in Momenten wie diesen dazu, sich im Fernweh zu verlieren. Kaum scheint einem - das Gute liegt so nah - hierzulande die Sonne ins Gesicht, träumt der Reisefreudige von fernen Ländern, davon, weiter als bis Herrsching zu fahren und Neues zu erleben. Wie gut ist es da doch, in einer Großstadt zu leben. Nur hier passiert es, dass der Fernwehgeplagte sich einfach treiben lässt und plötzlich, in einer kleinen Seitenstraße hinter dem Stachus, in einem Asia-Laden steht, in dem ihm unweigerlich das Gefühl überkommt, er wäre mit Übertreten der Schwelle in einen Beamer gestolpert und in einem Shop in Mumbai wieder ausgespuckt worden.

Bis an die Decke stapeln sich Säcke mit verschiedensten Reissorten. Currys, Ghee und eingelegte Mangos in vollen Regalen. Es riecht nach Gewürzen und ätherischen Ölen. Selbst die anderen Kunden scheinen alle aus Indien, Pakistan oder Bangladesh zu stammen. Hier gibt es die Bananenchips, die auf Reisen in Südindien treuer Begleiter waren, welch Freude, und im Obstregal liegt eine Jackfruit groß wie ein Kleinkind.

An der Kasse, hinter der sich schimmernde Armreifen in allen erdenklichen Farben bis zur Decke stapeln, ist die Illusion des fernöstlichen Kurztrips schnell wieder vorbei, die Landung in der Realität aber herzlich weich: "Grüß Gott!", sagt der Inhaber und lächelt freundlich.

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Quelle:
SZ vom 25.04.2019
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