Süddeutsche Zeitung

Unterricht mal anders:Tour de Bayern

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Coline Eberhard soll Schülern Lust auf die französische Sprache machen. Dabei lernen nicht nur die Kinder eine andere Kultur kennen

Von Judith Issig, München

Coline Eberhard ist erzürnt. Mit gerunzelten Augenbrauen steht sie vor der sechsten Klasse der Mittelschule Teisendorf. Die Jungen und Mädchen sitzen im Stuhlkreis, an der Wand hängt eine französische Fahne. Theatralisch reckt Eberhard ein Foto vom TGV, dem französischen Hochgeschwindigkeitszug, in die Höhe. "Non!", ruft sie dann laut. Nein! Der ICE ist nicht schneller als der TGV. Später lacht Eberhard darüber. Das sei das Einzige, was sie ein bisschen wütend mache, sagt sie: "Wenn die Kinder nicht wissen, dass der TGV der schnellere Zug ist."

Coline Eberhard, 28, ist Französin - auf dem Land geboren, in Paris aufgewachsen. Jetzt lebt sie in München und ist als Botschafterin ihres Heimatlandes in der bayerischen Provinz unterwegs. Oberbayern, Niederbayern und Schwaben sind ihr Revier. Mit dem sogenannten France Mobil, einem kleinen Lieferwagen, fährt sie von Schule zu Schule. Im Kofferraum hat Eberhard Karten von Frankreich, Bildchen von Croissants, Baguettes und François Hollande, französische Jugendzeitschriften und CDs mit Hits aus Frankreich. Ihre Mission: Die Schüler zwischen Illertissen und Passau, Ingolstadt und Traunstein für die französische Sprache zu begeistern.

An einem sonnigen Tag im Frühsommer steht Eberhards Besuch bei den Dritt- bis Sechstklässlern der Grund- und Mittelschule Teisendorf auf dem Stundenplan. Der Weg in das Dorf mit den 9000 Einwohnern im südöstlichsten Zipfel von Bayern führt auf einer kurvigen Landstraße durch kleine Weiler und über Wiesen. Nur elf Prozent aller bayerischen Schüler lernen die Sprache des Nachbarlandes. Das ist wenig, bedenkt man, dass Bayern und Frankreich eng miteinander verbunden sind - spätestens, seit Napoleon Bayern zum Königreich machte. Laut einer Statistik der französischen Botschaft ist der Anteil der Schüler, die Französisch lernen, in Bayern und Niedersachsen bundesweit am geringsten. In Baden-Württemberg zum Beispiel lernt etwa jeder fünfte Schüler Französisch. "Die Kinder haben so eine Angst vor der Sprache", sagt Eberhard. "Ich will ihnen zeigen, dass Französisch nicht nur in der Schule stattfindet." Dass die Sprache eine Möglichkeit ist, sich mit anderen zu verständigen. "Die Kinder sollen neugierig werden und merken, dass nicht an jedem Ort alles gleich ist."

Dafür hat die Französin zum Beispiel ein deutsch-französisches Memory in Teisendorf dabei. Die Kinder - aufgeteilt in die zwei Teams, die "Baguettes" und die "Croissants" - decken abwechselnd Karten auf. Angela Merkel und François Hollande sind ein Paar, Bastian Schweinsteiger und Franck Ribéry, ein Maßkrug und eine Rotweinflasche.

Eberhard spricht mit den Kindern ausschließlich französisch. Doch die Kinder verstehen, dass sie aufstehen sollen oder was die Spielregeln sind. Wer schneller kapiert, was gemeint ist, übersetzt für die anderen - ins tiefste Bairisch: "Wann d'Musi aus is, muas ma sogn, wia ma hoast!"

"Je m'appelle Lea" - am Anfang sind nur dünne Kinderstimmchen zu hören. Die Schüler kichern verlegen, wenn sie die fremden Wörter aussprechen. Aber Eberhard tut alles, um die Kinder mitzureißen. Sie hampelt zur Musik in der Mitte des Stuhlkreises herum. Bei den Spielen feuern sich die Kinder gegenseitig an; wenn sie etwas nicht wissen, fluchen sie laut. Aber da wird Eberhard ernst: "On dit pas Scheiße" - man sagt nicht Scheiße, sagt sie und wackelt mit dem Zeigefinger. Zufriedene Gesichter bei den zuschauenden Lehrern. Man sagt "merde".

Das deutsch-französische Jugendwerk organisiert das Projekt, zwölf Mobile gibt es in ganz Deutschland. Jede Schule kann die Lektoren anfragen. Oft wünschen sich die Französischlehrer die Unterstützung von Eberhard und ihren Kollegen.

Eberhard will die Kinder ermutigen, sich der Herausforderung zu stellen. "Die Kinder erfahren mit mir, dass sie sich ohne Probleme eine Stunde mit einer Französin unterhalten können", sagt sie. "Es freut mich, dass ich sie neugierig machen kann." In der Schule in Teisendorf hat sich nach dem jüngsten Besuch des France Mobils ein freiwilliger Sprachkurs gebildet. Den wieder zu beleben, sagt Schulleiterin Michaela Märzendorfer, das sei das Ziel des Besuchs. "Wir müssen hier schon ein bisschen weltoffen sein", sagt sie.

Was heißt "Ich liebe dich" auf Französisch? Wie heißt der Sänger von diesem Chanson? Coline Eberhard liebt es, wenn die Kinder viele Fragen stellen. Die Französin lernt aber auch umgekehrt etwas über Bayern und Deutschland. Ein blonder Drittklässler erklärt Eberhard nahezu akzentfrei und bilingual: "J'aime Schweinsbraten".

Am Ende der Stunde können die Kinder sich vorstellen, erzählen, was sie gerne mögen, sich begrüßen und verabschieden. "Merci", rufen sie dann im Chor, "au revoir."

"Jeder Tag ist ein Abenteuer", sagt Eberhard. "Obwohl wir Nachbarn sind, gibt es so viele Unterschiede." Die Religion zum Beispiel spiele hier in der Schule eine viel größere Rolle als zu Hause in Frankreich. Doch die größten Unterschiede seien nicht die zwischen den Nationen: "Ich bin aus Paris und bin damit jemandem, der in München aufgewachsen ist, kulturell viel näher als jemandem aus Zwiesel", sagt Eberhard. Manche der Kinder, die sie in den bayerischen Dörfern trifft, seien noch nie in einem anderen Land gewesen. "Die sind dann umso begeisterter, wenn ich komme", sagt sie.

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Quelle:
SZ vom 08.06.2016
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