Süddeutsche Zeitung

Zwischen Welten:Wie queere Menschen Kriegsopfern helfen

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Unsere ukrainische Kolumnistin ist stolz darauf, dass Olena Schewtschenko, Anführerin der LGBTQI-Community in ihrer Heimat, nun vom "Time Magazine" als Frau des Jahres ausgezeichnet wurde. Was das für ihr Land bedeutet.

Von Emiliia Dieniezhna

Vor ein paar Tagen ist eine Bekannte von mir, Olena Schewtschenko, vom Time Magazine als eine von zwölf Frauen des Jahres ausgezeichnet worden. Olena Schewtschenko hat sich jahrelang für die Rechte von Frauen und der LGBTQI-Community eingesetzt. Zu Beginn des Ukraine-Krieges hat sie die Nichtregierungsorganisation "Insight" mitgegründet und den Marsch der Frauen angeführt.

"Insight" hilft Tausenden Familien, die humanitäre oder psychologische Hilfe benötigen oder eine neue Unterkunft brauchen. Die NGO kümmert sich aber nicht nur um die queere Community und Frauen, sondern auch um Menschen mit Behinderung und Kriegsopfer, die sexualisierte Gewalt erlebt haben. Außerdem organisiert sie die Versorgung ukrainischer Soldaten mit Medikamenten.

Olena ist inzwischen eine Leitfigur in der Ukraine. Und ich bin sehr stolz, dass ich sie persönlich kenne. Ich habe sie ein paar Tage vor Kriegsbeginn in Kiew getroffen. Die Friedensnobelpreisträgerin Oleksandra Matwijchuk hatte eine Zusammenkunft von Zivilgesellschafts-Aktivisten und einer Delegation aus Großbritannien organisiert. Ich dachte, wie glücklich wir Ukrainer sein müssen, weil wir so prinzipientreue und gutherzige Aktivisten haben.

Olena hat mich sehr inspiriert, wie sie für Menschenrechte und die Rechte der LGBTQI-Menschen kämpft. Ihr Wirken ist für mich Bestätigung, dass mein Land mit Riesenschritten zu echter Demokratie und Werten der Europäischen Union vorangeht. Dank Menschen wie Olena und der neuen Generation der Ukrainer, die ihre Arbeit unterstützt, kommen wir dem europäischen Gedanken näher.

Während Russland queeres Leben verbietet und Informationen darüber bestraft, wird eine ukrainische Frau, die lesbisch lebt und in der Szene als Vorbild gilt, als Frau des Jahres ausgezeichnet. Das ist für mich eine Bestätigung, dass wir Ukrainer auf dem richtigen Weg sind.

Dennoch mangelt es in der Ukraine im Gegensatz zu München und der queeren Szene hier immer noch sehr an Freiheiten und Toleranz. Aber Frauen wie Olena Schewtschenko zeigen auch in meinem Land, dass die LGBTQI-Community ein unverhandelbarer Bestandteil der Gesellschaft ist, auch weil diese Community sehr aktiv Hilfe für sozial Benachteiligte während des Krieges leistet.

Olena Schewtschenko ist nicht die Einzige, die das Verhältnis meines Volkes zu LGBTQI ändert. Ein Freund von mir, Viktor Pylypenko, ist schon seit 2014 der erste offen homosexuell lebende Soldat in der ukrainischen Armee. Längst hat er eine LGBTQI-Gruppe beim Militär gegründet und geholfen, dass queere Soldaten sich nicht mehr verstecken müssen. Jetzt verteidigt er unser Land an der Front.

Einerseits bin ich sehr stolz, dass so viele ukrainische Aktivisten, die ich persönlich kenne, Anerkennung in der Welt bekommen. Das sind Menschenrechtler wie Olexandra Matwiychuk, Olena Schewtschenko und Viktor Pylypenko, aber auch viele andere. Doch was wären Menschenrechte wert, wenn es keine Möglichkeit gäbe, diese auch zu verteidigen.

Emiliia Dieniezhna, 34, flüchtete mit ihrer damals vierjährigen Tochter Ewa aus Kiew nach Pullach bei München. Von dort aus arbeitet sie ehrenamtlich für die Nicht-Regierungs-Organisation NAKO, deren Ziel es ist, Korruption in der Ukraine zu bekämpfen. Außerdem unterrichtet sie ukrainische Flüchtlingskinder in Deutsch. Für die SZ schreibt sie einmal wöchentlich eine Kolumne über ihren Blick von München aus auf die Ereignisse in ihrer Heimat.

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