Süddeutsche Zeitung

Kandidatin für den Tassilo 2018:Im Sog der Meereswelle

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Sinda Dimroth, Gründerin des Kunstvereins Gräfelfing, ist im Grunde ihres Herzens Malerin. Doch weil das Leben viel zu spannend ist für nur eine Sache, war sie auch Innenarchitektin, Kunstsammlerin, Galeristin und Autorin.

Von Annette Jäger

Sie mag es am liebsten, wenn sie ganz in ihren Bildern verschwindet, sagt Sinda Dimroth, als sie sich für den Fotografen in Pose setzt. In den grünblauen Meereswellen, im dunkelwolkigen Himmel. Ganz absorbiert von den Landschaften, die sie auf der Leinwand verewigt. Sinda Dimroth ist Malerin und Bildhauerin. Landschaften haben es ihr besonders angetan. Weil es am schwierigsten ist, hier eine eigene Handschrift zu entwickeln, sagt sie. Dimroth hat schon viele Leinwände gefüllt in ihrem Leben. Früher eher mit Abstraktem, dann mit Landschaften. Nur zwei Bilder haben Platz an den Wänden ihres Ateliers in Pasing. Die Bilder sind auch nur eine Seite der Künstlerin.

Dimroth, Jahrgang 1947, hat den Kunstbetrieb von allen Seiten erlebt: als Malerin und Bildhauerin, als professionelle Kunstsammlerin und -vermittlerin, als Kunsthändlerin, als ehrenamtliche Galeristin. Ihr Wirken spannt sich weit hinaus in die Welt: Von Pasing aus zog sie als junge Frau in die USA, dann wieder zurück nach München, nach Gräfelfing. Von dort nach Zürich und schließlich wieder nach Pasing. An all diesen Orten hat sich immer wieder in jeweils anderen Rollen im Kunstbetrieb etabliert. Sie hat dabei Spuren hinterlassen. Eine davon wirkt besonders nach. In Gräfelfing hat sie 1980 den inzwischen weit über die Landkreisgrenzen hinaus bekannten Kunstkreis gegründet. Es war ihre Station als Kunstorganisatorin und ehrenamtliche Galeristin.

Kunst in der Region hat für Dimroth eine besondere Bedeutung. Für junge Künstler sei es wichtig, dort, wo sie arbeiten, auch auszustellen. Dort erhielten sie oft ihren ersten Katalog, kämen mit dem Publikum in Kontakt, und manche würden so entdeckt. Im Kunstkreis ist das damals wie heute immer wieder so passiert. Die Gründung des Vereins verlief gänzlich unspektakulär. Dimroth hatte nach ihrer Rückkehr aus New York, wo sie als Innenarchitektin gearbeitet und auch schon ausgestellt hatte, ein Studium an der Münchner Kunstakademie begonnen. Damals kam der Gräfelfinger Bürgermeister Eberhard Reichert auf sie zu. Er wünschte sich einen Kunstverein, um die Betonwände des neuen Rathauses zu schmücken. Dimroth setzte den Wunsch um. "Uns ging es damals um die Kunst", betont sie. Das ganze Organisationsteam habe aus aktiven "Berufskünstlern" bestanden. Sie trafen sich reihum in den Ateliers zu Besprechungen. Die Auseinandersetzung mit der Arbeit des ausgestellten Künstlers war ein wichtiger Bestandteil dieser Sitzungen, erinnert sich Dimroth. Sie wagten sich an schwierige Themen. "Wir wollten das zeigen, was en vogue war." Und das war in den 1980er Jahren abstrakter Expressionismus, Happenings, Installationen, Performances.

Die Ausstellungen des Kunstvereins machten schnell von sich Reden: 1983 stellten einige der damals bedeutendsten bayerischen Künstler im Rathaus aus, darunter der renommierte Bildhauer Rudolf Wachter. Es kamen angesagte Künstler der Münchner Kunstszene nach Gräfelfing, später auch Albert Hien, der zwei Jahre darauf zur Documenta nach Kassel eingeladen wurde und heute Professor an der Kunstakademie ist. Auch die Schülerklassen der Kunstakademie stellten ihre Arbeiten aus. Die Vereinsarbeit war Kräfte zehrend: Zwischen sieben und zehn Ausstellungen organisierte das Team im Jahr, zuhause klingelte das Telefon Tag und Nacht, es waren Künstler, die über ihre Malerei oder gleich über ihr ganzes Leben sprechen wollten, erinnert sich Dimroth. Plakate waren zu drucken, Ausstellungen zu hängen, Kontakte zu Künstlern mussten erst geknüpft und dann gepflegt werden. Dimroth und ihre Kollegen waren zu Galeristen geworden. Damals hat sie erfahren, dass ein Verein eine treibende Kraft braucht.

Der Kunstkreis eckte damals auch an. Vor allem Rathausmitarbeiter fühlten sich gelegentlich provoziert von den ausgestellten Werken. Dimroth erinnert sich an eine Tonskulptur im Eingangsbereich des Rathauses, die eine Geburtsszene darstellte. Das Kunstwerk musste schließlich in eine der oberen Stockwerke verbannt werden. Oder da waren die Äste des Bildhauers Rudolf Wachter. Er selbst trug seit einer Kriegsverletzung ein Holzbein. Er drapierte die symbolträchtigen Baumstämme im Rathaus Foyer auf dem Boden. Am nächsten Tag hatte sie der Hausmeister zum Teil verräumt. Die Besucher hätten ja stolpern könnten.

Nach 14 Jahren Engagement im Kunstkreis erhielt Dimroth einen selbst gebastelten Papporden für ihre Verdienste und folgte ihrem Mann in die Schweiz. Dort baute sie eine Kunstsammlung für eine Bank auf. Nach ihrer Rückkehr nach Pasing im Jahr 2006 kehrte sie auch zum Kunstkreis zurück. Vor zwei Jahren zog sich Dimroth ganz aus dem Ehrenamt zurückzog. Zuletzt ist sie ins Fach der Schriftstellerei gewechselt. Ihr Vater hat ihr 17 Tonbänder mit seinen Kriegserlebnissen hinterlassen. Sie waren der Anlass, ihre Familiengeschichte aufzuschreiben, die 2015 erschien. Aktuell arbeitet sie an einem weiteren Buch über ihren Großvater, den Kunstsammler Hermann Bode. Doch eigentlich ist sie im Herzen immer Malerin geblieben. Wenn das Buch veröffentlicht ist, will sie sich wieder ganz den Landschaften widmen. "Ich habe immer gesagt, wenn ich alt bin, male ich nur noch Landschaften". Am Kochelsee wird sie malen. Wasser, Wald und Berge. "Da will ich mich noch mal reingraben".

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Quelle:
SZ vom 26.02.2018
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