Süddeutsche Zeitung

Szene München:Literatur in der Dorfdisco

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Literaten und Alkohol? Nicht erst seit Ernest Hemingway ein gängiges Paar. Aber Literatur und Diskothek? Gibt es jetzt auch - ausgerechnet an einem Ort, der als Dorfdisco verschrien ist.

Eine Kolumne von Florian Fuchs

Gesoffen haben sie ja fast alle, und natürlich kommt einem da gleich Ernest Hemingway in den Sinn. Der hat nicht nur Leoparden gejagt, der hat, glaubt man einer der vielen Legenden um diesen Drink, auch die Bloody Mary erfunden. Seine vierte Ehefrau Mary meckerte ständig, weil er trank. Also kippte der Barmann Tomatensaft in den Wodka, sodass Bloody Mary zu Hause den Alkohol nicht mehr roch.

Literaten und Alkohol, da war Hemingway bei Weitem nicht der einzige, gehören also irgendwie zusammen. Insofern ist es wohl nur auf den ersten Blick unpassend, was die Diskothek Neuraum nun veranstaltet: Lesungen in der Feierzone. Das Neuraum im Zentralen Omnibusbahnhof an der Hackerbrücke war bis jetzt nicht unbedingt als Ort der Kultur verschrien, sondern gilt eher als Dorfdisco mitten in München.

1200 Quadratmeter, vier sogenannte Areas, Musik von der Stange, den die Betreiber gerne als "Vollgas-Partysound" anpreisen, kurz: Die Gäste, die ins Neuraum gehen, kommen meist nicht ohne Grund schon mit Hemingway-Gedächtnis-Pegel vorgefahren - ohne Dröhnung ist es spätnachts dort kaum auszuhalten.

Umso bemerkenswerter ist es, dass in den Hallen des Kommerz-Discotempels nun Lesungen stattfinden. Im März etwa war Thomas Gsella da, Ringelnatz-Preisträger und früherer Titanic-Chefredakteur. Im April kommt Sarah Fischer, die von ihrer Reise um die halbe Welt, von Fischkuttern in Alaska und Mönchen in Südostasien erzählt.

Das Neuraum macht sich um die Kultur in dieser Stadt verdient, auf den Schrecken braucht man gleich mal eine Bloody Mary. Und dann gilt es auf die Idee der Veranstalter anzustoßen. Natürlich darf man es mit dem Alkohol aber nicht übertreiben. Die Lesungen finden am frühen Abend statt, da geht es relativ nüchtern zu. Die Großraumdisco-Dröhnung kommt erst später.

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Quelle:
SZ vom 04.04.2013
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