Süddeutsche Zeitung

Szene München:Exklusiv im Hinterzimmer

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Das Hinterzimmer einer Kneipe zu betreten hebt einen in die Aristokratie unter den Besuchern - es ist die Aufnahme in einen besonderen Kreis. Dabei ist es da hinten oft gar nicht so schön.

Von Jakob Biazza

Die Quote an Schnauzbärten ist wieder sehr hoch an diesem Abend. Viele Tattoos stehen herum. Die Augen hinter den eckigen Kastenbrillen sind schon eher klein, was am Zigarettenrauch liegen könnte oder daran, dass ein paar der Nasen auch für die Jahreszeit zu sehr laufen. Eine junge Frau Anfang 20 schwankt, obwohl sie an ein massives Metallregal gelehnt ist. Und wenn sie schwankt, verschüttet sie immer etwas Gin Tonic. Die Frau ist falsch hier. Sie wollte eigentlich auf die Toilette und hat sich in der Tür geirrt. Sie wirkt sehr beseelt deswegen.

Zwischen Spülmittel und Bierfässern

"Hier", das meint nämlich den Personalbereich einer Bar, von der wir jetzt behaupten könnten, sie stünde im Glockenbachviertel, aber tatsächlich könnte sie überall sein. Die Logik ist immer dieselbe. Es riecht nach der gleichen Kombination aus Reinigungsmitteln, noagerlvollen Flaschen und dem Dunst von Industriespülmaschinen. Es ist überall gleich eng, weil überall die gleichen Leute stehen. Und der Spüler eckt deshalb überall mit den gleichen Gläserpaletten an.

Und trotzdem hat die Frau offenbar einen Sehnsuchtsort erreicht. "Ich war noch nie in so was", sagt sie. Das Wort "cool" fällt oft. "Geil" und "toll" etwas seltener. "Und ihr arbeitet jetzt alle hier?", fragt die Frau, weil sie ein Gespräch anfangen will. Keine Antwort. Nur Kopfschütteln. Niemand arbeitet hier.

Lieber eine Exklusiv-Zigarette als Tanzen

Man steht in Hinterzimmern von Bars nicht, weil man dort arbeitet, sondern um sich abzuheben. Deshalb stört die Frau auch. Weil sie den zweiten Weg in die exklusive Runde genommen hat: Dreistigkeit. Der erste - man kennt den Wirt - wird durch sie entwertet. Wer den Abend im Personalbereich verbringt, und ja, die Menschen gehen tatsächlich in schöne Bars, um den ganzen Abend in hässlichen Hinterzimmern zu stehen, der sucht schließlich nach Distinktion. Als die Frau irgendwann geht, dringt ein Schwall Musik durch die kurz geöffnete Tür. "Tanzen wäre jetzt schon ganz geil", sagt einer von den Schnauzbärten. Dann lehnt er sich wieder ans Regal und raucht weiter.

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Quelle:
SZ vom 19.02.2015
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