Süddeutsche Zeitung

Szene München:Ausgehen ohne Chat-Gruppe geht nicht mehr

Lesezeit: 1 min

Jedes digitale Hilfsmittel scheint alles nur noch komplizierter zu machen - vor allem im Nachtleben.

Von Philipp Crone

Das Ausgehen beginnt schon, da ist man noch gar nicht ausgegangen. Der ritualisierte Abendablauf wird zunächst einmal von der vorangehenden Planung eröffnet. Je älter die Weggänger, desto früher wird geplant. Aber da es sich ja um das Weggehen dreht, also einen Lebensbereich, in dem es gerade bei den Männern um gehobenes Balzverhalten jeglicher Art geht, plant man auch nicht so einfach wie früher, mit dem kurzen Satz ins Festnetztelefon: "Um zehn im Favorit?"

Heute wird eine Chatgruppe eröffnet, etwa mit dem Namen: Superpartyabendnächstenfreitag-Deluxe, in die dann alle tagelang (über 30) oder stundenlang (unter 30) ihre Weggeh-Weisheiten reinschreiben. Leute, ist die Botschaft in den Chat, ich weiß ganz genau, wo es am besten ist und wo wir einen richtig guten Abend erleben werden. Digital-Balzen. Die Chats enden mit genervten Kleingruppen, die unterschiedliche Lokale ansteuern. Vielleicht könnte da manchen die neue Münchner Webseite clubago.de helfen.

Terminfindung per Doodle?

Dort kann man sich seit einiger Zeit nach Ort, Abend und Musikrichtung beraten lassen. Wer also "Am Glockenbach", "An diesem Wochenende" und "Funk" in die Suchfelder eingibt, wird mit Etablissements wie dem Kiddo, Jennifer Parks, der Pop-up-Bar Awi oder dem Provisorium belohnt.

Dazu gibt es die exakte Entfernung vom Standort, die Preisklasse des Lokals, ob es casual oder extravagant zugeht, die Öffnungszeiten und natürlich den Musikstil. Vielleicht also einen Doodle-Link zur Abstimmung in den Chat . . . ? Schon interessant: Jedes digitale Erleichterungsmittel scheint alles nur noch komplizierter zu machen, vor allem auch im Nachtleben.

Wobei sich die Betreiber der Webseite wirklich alle Mühe geben. Im Ausgeh-Blog von clubago.de wird einem zum Beispiel erklärt, wie man in ordentlich angeheitertem Zustand in einem unbekannten Club den Weg von der Toilette zurück findet: eine Scheibe Brot mitnehmen und auf dem Hinweg Krümel ausstreuen (firmiert unter der "Hexenhäuschen-Methode"). Wenn man es nicht besser wüsste, könnte man bei der Flut an Hilfs-Apps und Hilfs-Blogs fast glauben, dass das Weggehen im Jahr 2016 eine beinahe unlösbar schwierige Sache geworden ist.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.2910662
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 17.03.2016
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.