Süddeutsche Zeitung

Szene München:Sonntag ist der neue Samstag

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Es ist nicht mehr der Kater, der an Sonntagen die Planung übernimmt. Denn der Hipster von heute kann nicht einmal mehr an diesem heiligen Tag rasten.

Kolumne von Laura Kaufmann

Wenn die Kirchtürme bimmeln statt der Kasse, dann ist Sonntag in Bayern. Eltern treiben den nörgelnden Nachwuchs einen Berg hoch und sich selbst auf die Palme. Und während die Familien so ins Umland ausschwärmen, die Gipfel und die Seen bevölkern, wankten durch die Straßen der Stadt Untote wie in einem Zombiefilm.

Ähnlich sah es früher in den Straßen Münchens aus, durch die all die streiften, die aussahen wie Zombies wegen der durchfeierten Nacht, auf der Suche nach dem einzigen Café des Viertels, das dem Sonntag trotzt, oder nach einem freien Fleckchen an der Isar, um den Rausch auszuschlafen. Aber es ist die Zeit der Selbstoptimierung, der wahren Religion der Singles, und so ziehen die Leute heute eher joggend durch die Straßen, vor oder nach dem Genuss einer Açai-Bowl.

Was also anfangen jetzt mit dem angebrochenen Sonntag, wenn der Exzess in der Nacht zuvor nicht groß genug war, um am Sonntag dem Kater die Tagesplanung zu überlassen? Das ist gar nicht so schwer: Das Lieblingscafé und die Pizzeria mögen geschlossen haben, aber auf irgendeiner Dachterrasse wird garantiert gefeiert.

Am heiligen Sonntag überschlagen sich seit neuestem Veranstalter mit der Organisation von kleinen Festivals bei Tageslicht, bei denen die Musik eben nicht ganz so laut und die Stimmung nicht ganz so alkoholschwanger ausgelassen ist wie in der Nacht zuvor im Club. Dafür bietet es sich an, sich einen Blumenkranz ins Haar zu flechten oder die Sonnenbrille aufzuziehen, was auf Instagram sowieso viel besser rüberkommt als ein versoffenes Selfie.

Der neu eröffnete Bora Beach auf der Praterinsel spielt bei The Sun Day elektrische Musik, aber nur so laut, dass Unterhaltungen möglich sind, dazu gibt's Drinks und Falafel; seit neuestem gibt es auch die heiß erwartete Neueröffnung The Lit Roof: Die Dachterrasse beim Ostbahnhof öffnet meist nur sonntags und stellt sogar mal einen DJ Hell ans DJ-Pult. Bis 22 Uhr, dann ist Feierabend.

Sonntagnachmittag ist der neue Samstag ist der neue Freitag ist der neue Donnerstag. Ein kleiner Rausch tut nicht weiter weh, denn der sonntäglich Feiernde ist trotzdem pünktlich zur Tatort-Abspann-Melodie zuhause und kann sich bis zum Weckerklingeln ausreichend Schlaf genehmigen. Sonntagnachmittag ist die Partyzeit, die am besten zum Zeitgeist passt, in der alles möglichst gesund und möglichst auch selbstinszenierungstauglich sein soll; das Licht schmeichelt dem Teint und ein Drink sieht, gegen einen Sonnenuntergang gereckt, einfach immer gut aus.

Der Hipster von heute kann nicht einmal mehr an einem Sonntag rasten. Wer sich trotzdem Samstagnacht abschießt und dann am Sonntag in der prallen Sonne ein Konterbier zischt, ist eventuell der Rebell unserer Zeit. Mit Sicherheit aber ist er ziemlich gerädert, wenn Montagmorgen der Wecker klingelt.

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Quelle:
SZ vom 27.07.2017
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