Süddeutsche Zeitung

SZenario:Ein Abend für Sir Peter Jonas

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Bei der Premierenfeier widmen Regisseur Barrie Kosky und das gesamte Ensemble die Agrippina-Produktion dem Händel-verrückten ehemaligen Staatsopernintendanten

Von Jutta Czeguhn

Sommerliches Wortgeplätscher im Gartensaal des Prinzregententheaters. An den Stehtischen plaudern die Gäste der Premierenfeier über mächtige Frauen, ihre prachtvolle Niedertracht, und was aus Nero hätte werden können, wäre Agrippina eine etwas entspanntere Mama gewesen. Womöglich eine allzu fade Fußnote in der Weltgeschichte. Etwas abseits steht Barrie Kosky, leger im hellblauen Hemd, in beigefarbener Hose, Sandalen. Eben hat er sich noch auf der Bühne verbeugt, das Ensemble geknuddelt und gebusselt. Und hat es in seiner unnachahmlichen Barrie-Kosky-Art geschafft, dass sich die wenigen Buhs auf ihrem Weg über den Orchestergraben zu ihm hinauf in schillernde Seifenblasen verwandelten und lustig zerplatzen. Scheinbar geduldig nimmt er nun die Glückwünsche zu seiner famosen Inszenierung entgegen, signiert Programmhefte. Doch so ganz bei der Sache ist er nicht. Er hat jemanden in der Menge erspäht, dort zieht es ihn hin.

Wo Barock-Oper ist, ist Sir Peter Jonas. Auch an diesem Premierenabend. Zart und schmal steht er da, im schwarzen Smoking, mit Sonnenbrille und einer dünnen Wollmütze auf dem Kopf. Doch überragt Münchens ehemaliger Staatsopern-Intendant alle mit seiner Eleganz und geradezu verschwenderischen Heiterkeit. Barrie Kosky, Noch-Intendant der Komischen Oper Berlin, hat sich endlich zu ihm vorgearbeitet. Er zögert kurz, dann umarmt er den zerbrechlichen Mann behutsam. Doch Sir Peter, noch überwältigt von der Händel-Oper, umarmt mit festem Druck zurück. Die Liebe zur Musik ist etwas Unverlierbares. Man sieht es Sir Peters Lächeln an, wie sehr er den Abend genießt, der - so wird es Intendant Nikolaus Bachler später verkünden - ganz ihm gewidmet ist, wie überhaupt die gesamte Agrippina-Produktion. "Das ist ein großes Privileg für mich", sagt Sir Peter Jonas bescheiden.

Für ihn gesungen und gespielt hat beispielsweise Elsa Benoit in der Rolle der Poppea. Vor fünf Jahren gehörte die junge französische Sopranistin noch dem Opernstudio an, der Nachwuchsschmiede der Staatsoper. Heute singt sie im Ensemble und an berühmten Häusern wie dem Théâtre des Champs-Élysées in Paris oder dem Gran Teatre del Liceu in Barcelona. "Ich habe keine großen Karrierepläne", sagt sie, "ich liebe es einfach zu singen, zu proben und täglich Neues zu lernen."

Von großen Kolleginnen etwa Alice Coote, laut Bachler, "die Agrippina unserer Tage", oder von Franco Fagioli. Der junge argentinische Countertenor hat in München sein Hausdebüt gegeben. Und was für eines! Seinen Nerone als Punk-Psycherl mit vogelflattrigen Peter-Lorre-Blick wird man so rasch nicht vergessen. Die Maske der Staatsoper, zuletzt recht gefordert, die exzentrischen Bodypaintings des Ballett-Superstars Sergei Polunin unsichtbar zu machen, hat Fagioli ein mördergutes Tattoo über kahlen Schädel bis in den Nacken hinunter gepappt. "Das ging nur mit einer Spezialcreme wieder herunter", verrät Fagioli bei der Premierenfeier, die Glatze frisch poliert, denn die ist original. Auch Neros Piercings waren natürlich angeheftet, denn privat hat er es nicht so mit Körperschmuck. Fagioli ist so etwas wie der Star des Abends, ein Vokal- und Körperakrobat, der mühelos im Liegen singt, mit komisch zusammengekniffenen Beinen über die Bühne strolcht und einem den späteren Skandalkaiser und Pyromanen richtig ans Herz wachsen lässt.

In seinem Fach ist Franco Fagioli längst ein Weltstar, im Gartensaal des Prinzregententheaters diskutieren sie an diesem Premierenabend, wann man an der Münchner Staatsoper brillante Counterstimmen wie Fagiolis, wann man überhaupt endlich wieder Barock-Opern zu hören bekommt. Fragt man Sir Peter, dann ist er ganz Diplomat. Er breitet die Arme aus, in einer alle und alles umarmenden Geste, und sagt: "Das liegt nicht mehr in meinen Händen."

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SZ vom 25.07.2019
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