Süddeutsche Zeitung

SZ-Serie: München erschwinglich:Von der Kommode bis zur Fuchs-Stola

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Nachhaltiger, billiger und oft steckt ein soziales Projekt dahinter: Wo man gebrauchte Waren für den Alltag bekommt.

Von Thomas Becker

Sogar Kaffee und Kuchen sind hier billig. Cappuccino 1,40 Euro, Maulwurfkuchen 1,90 Euro, und der ersetzt locker eine komplette Mahlzeit. Dazu später mehr. Schließlich sind wir ja zum Shoppen da, hier im Moosacher "Kaufhaus Diakonia" an der Dachauerstraße 192, kurz vorm Mittleren Ring. Von Laufkundschaft kann man in dieser Ecke wirklich nicht sprechen, und dennoch ist kurz nach Ladenöffnung um zehn in der Früh schon ganz schön was los, auch vor der Tür. Ob's am "Trachten-Sale-50 Prozent" liegt? Nebenan warten Kinderwagen, Buggys und Fahrräder auf Kundschaft, ein junger Mann radelt schon Probe und wird wenig später an der Kasse 50 Euro für einen grundsoliden Drahtesel auf den Tisch legen. An den Wühltischen mit Büchern (20 Cent), CDs (50 Cent), DVDs und LPs herrscht der größte Andrang, kein Wunder bei Angeboten wie Peter Alexanders "Fröhliche Weinprobe" - wer kann dazu schon nein sagen? Allerdings geht es den meisten Menschen, die sich auf den Weg hierher gemacht haben, nicht darum, dass der grüne Wollschal mit der weißen Aufschrift "Illegalize it" ein witziges Fashion-Statement darstellt, sondern darum, dass er schön warm hält - und nur zwei Euro kostet. Da fällt Einkaufen ein wenig leichter. Schließlich ist alles andere in der sogenannten Weltstadt mit Herz schon teuer genug.

Das "Diakonia" ist ein Sozialkaufhaus. Sozial, weil hier gespendete Waren verkauft werden und durch diesen Verkauf Arbeitsplätze für Menschen in schwierigen Lebenssituationen geschaffen werden. Franz Beckenbauer würde sagen: "We call it a win-win-situation." Wer nicht viel im Geldbeutel hat, kann auf 1200 Quadratmetern von Geschirr über Möbeln bis zu Textilien und Medien wirklich günstig Gegenstände des täglichen Gebrauchs erwerben, und der ehedem langzeitarbeitslose Verkaufs-, Transport- oder Sortierhelfer kann sich wieder in die Arbeitswelt integrieren. Gefördert wird das Projekt vom Münchner Beschäftigung- und Qualifizierungsprogramm (MBQ) des Referats für Arbeit und Wirtschaft.

Ökologisch und nachhaltig ist das Ganze auch noch, da gebrauchte Kleidung und Waren eine zweite Chance bekommen. Dass so eine schneidige Rennbahn wie der "Racing King" mit den vier bunten Flitzern in der Mülltonne landet, geht ja in der Tat überhaupt nicht. Für gerade mal 12,50 Euro lässt sich damit sicher so mancher Kindernachmittag retten. Und im ersten Stock gibt's den ansonsten eher sündteuren Kinderstuhl-Klassiker "Triptrap" für schmale 25 Euro, feuerrot und auf Hochglanz getrimmt wie frisch aus der Produktion. Während Familien eher nach Esstisch, Wohnzimmersofa, Kaffeemaschine und Kühlschrank Ausschau halten, bleibt der eine oder andere Hipster eher bei den schrillen Ein-Euro-Krawatten hängen, wundert sich über jungfräulich-blütenweiße Gummistiefel, das Kruzifix für 3,50 Euro, die Fuchs-Stola (10 Euro) oder über die Abteilung "Freak'n Steak": "Coole HipHop-Bekleidung von bekannten Rappern" steht da neben den schwarzen "Bushido-Shindy-Classic"-Hoodies. So viel zur Bandbreite des Publikums.

Weniger hip, dafür umso nutzwertiger geht es im "GebrauchtWarenHaus Weißer Rabe" in der Landsberger Straße 146 zu, die 19er-Tram hält praktischerweise direkt vor der Haustür. Träger der seit 1988 bestehenden Einrichtung ist die Caritas, und so lautet auch hier der soziale Auftrag der GmbH: Förderung von arbeitslosen, behinderten oder psychisch kranken Menschen mit dem Ziel der Inklusion. Heimleiter Stefan Lang beschreibt die Arbeit mit den mehr als 40 Teilnehmern so: "Es geht darum, den Leuten eine Tagesstruktur zu geben. Jeder wird nach seinen Stärken und Schwächen eingesetzt. Manche dürfen nur drei Stunden am Tag arbeiten, manche gehen auch zur Tafel. Aber die fühlen sich hier alle voll dazugehörig und sind total traurig, wenn eine Fördermaßnahme ausläuft." Wer mit dem gelernten Handelsfachwirt durch die 1300 Quadratmeter großen Räumlichkeiten im Rückgebäude marschiert, wird sich mehr als einmal verwundert die Augen reiben, wie akribisch sortiert und blitzeblank gewienert Second-Hand-Ware aussehen kann. Allein in der Schuhabteilung glitzert und funkelt es nicht weniger als in den Einkaufsparadiesen der Fußgängerzone. Lang sagt: "Sauberkeit und Ordnung wird bei uns großgeschrieben. Der Kunde hat schließlich ein Recht auf ein Einkaufserlebnis." Auch wenn es sich bloß um Abgelegtes und Aussortiertes handelt.

Auch der "Weiße Rabe" lebt von Spenden: Möbel, Geschirr, Deko-Waren, Elektrogeräte, Mode und Kinderbekleidung wird beinahe nonstop an die Rampe geliefert. Rund 20 bis 50 Münchner pro Tag kommen, um etwas zu spenden. Rappelvolle Umzugskisten voller Bücher, die seit dem Studium im Keller geschlummert haben? Her damit! Kinderspielzeug gibt es auch, wird allerdings nicht verkauft, sondern kann mit dem entsprechenden Berechtigungsschein (etwa als Hartz-4-Empfänger) über ein spezielles Punktesystem kostenfrei erworben werden.

Die Pandemie habe sich schon deutlich bemerkbar gemacht, sagt Heimleiter Lang: "Am Anfang hatten die Leute endlich mal Zeit, nicht mehr Gebrauchtes auszusortieren." Und dass bei vielen angesichts der Krise das Geld nicht mehr so locker sitzt, liege ja auf der Hand: "Man merkt schon, dass viele mit Kurzarbeit zu kämpfen haben." Gleichzeitig gibt es Dinge, die offensichtlich unverzichtbar sind: "Die Nachfrage ist einfach da", sagt Lang mit Blick auf die kleine Weihnachtsabteilung, wo schon der Christbaum samt Nussknacker und Weihnachtskugeln steht. Wer sowieso schon kaum Geld hat, tut sich heuer noch schwerer - und ist dankbar, dass es Einrichtungen wie den "Weißen Raben" gibt. Die Filiale an der Theresienwiese in der Bavariastraße schließt in ein paar Monaten und zieht Mitte nächsten Jahres in ein neues Haus in der Drygalski-Allee. Auch das Second-Hand-Einrichtungshaus "kommbar" in der Hofmannstraße 7 in Obersendling schließt Anfang November und zieht in die Buchenauer Straße 39 nach Fürstenfeldbruck um.

Eine Konstante in Sachen Second-Hand-Möbeln ist dagegen "BM-Logistic" in der Rosenheimerstraße 104, seit 16 Jahren hält sich der Laden. Wohl nirgends ist Haidhausen so wenig chic wie hier zwischen Baustelle und Massagestudio, gegenüber von Spiele-Shop und Kfz-Gutachter. In drei Schaufenstern hat Besitzer Bojan Mocadam seine besten Stücke drapiert: Kronleuchter, Vitrinen, gläserne Beistelltische, Bauernschränke, eine Chaiselongue für stolze 390 Euro und eine pinkfarbene Kommode mit Goldbeschlägen, Kostenpunkt 190 Euro. Also nicht nur Möbel für den Hausgebrauch, sondern auch ein bisschen Shabby Chic für den stilbewussten Besserverdiener. Der einzige Mitarbeiter weit und breit behält hinter seinem Spuckschutz die Überwachungskameras im Auge. Schließlich lässt es sich hier auf drei Etagen und 600 Quadratmetern stöbern. Doch je weiter man sich von der Fensterfront entfernt, desto wilder wird das Ensemble, bis es im Keller und im ersten Stock endgültig rumpelkammerig wird.

Vogelwild gestapelte Matratzenlager, viel Gelsenkirchener Barock, die mit 70er- oder 80er-Jahre-Tapeten versehenen Zimmer komplett zugestellt mit Betten, Lattenrosten, Teppichen und losen Stuhlsammlungen. Aber zwischendrin in einem der Durchgänge: ein Spitzweg, schau an! Oder diese Rarität hier, im Kellergeschoss versteckt: eine fast geschlossene Tafelrunde für acht Personen und 1190 Euro - sieht man jedenfalls nicht alle Tage und würde jedem smarten Start-up gut zu Gesicht stehen. Aber 1190 Euro? Draußen vor der Tür holt einen die teure Münchner Wirklichkeit schnell wieder ein. Ein Tässchen Cappuccino kostet hier locker so viel wie das Kaffee-Kuchen-Ensemble im "Kaufhaus Diakonia". Und dieser Maulwurfkuchen! Schoko plus Sahne plus Banane, eine Art Banana-Split in Kuchenform. Beckenbauer würde sagen: "Müssen Sie probieren!"

Nächste Folge am 21. Oktober: Was München Familien zu bieten hat.

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Quelle:
SZ vom 20.10.2020
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