Süddeutsche Zeitung

Moderne Medizin in München:Nähen unter der Haut

Lesezeit: 4 min

Von Stephan Handel

Ein Schnitt durch die Haut, herunter vom Hals bis zum Magen, das geht schnell. Dann kommt der Mann mit der Flex und schneidet das Brustbein durch, von oben nach unten - ein Geräusch wie beim Sägen von Holz. Die Rippen werden aufgespreizt, hinein kommt ein Metallrahmen, der alles offenhält, und da liegt es jetzt, das mystischste Organ im menschlichen Körper, und pumpt vor sich hin. Gut, dass die Patienten in Vollnarkose liegen, wenn sie am offenen Herzen operiert werden.

Es ist nicht nur ein wenig appetitlicher Vorgang und ein Eingriff in etwas, von dem viele Menschen denken, es mache ihr Menschsein aus - natürlich ist eine Herzoperation eine der schwerwiegendsten Interventionen, zu denen Chirurgen fähig sind. "Deshalb", sagt Rüdiger Lange, "wartet man damit ja oft so lange, bis der Patient unter der Türritze reinkommt."

Lange weiß, wovon er spricht, er ist einer der Chefs am Deutschen Herzzentrum an der Lazarettstraße und steht mehr oder weniger täglich im OP-Saal. Also weiß er, was auf die Patienten zukommt, auch wenn die Operation erfolgreich war, auch wenn die Chirurgen die neue Herzklappe ordnungsgemäß eingesetzt, den Bypass nach den Regeln der Kunst gesetzt haben: Das entzweigeteilte Brustbein muss zusammenwachsen. Die Verletzungen in den Weichteilen müssen heilen.

Nach der OP folgt oft eine Depression

Nicht wenige Patienten erleiden nach der Operation eine Art Depression, wobei noch nicht klar ist, ob sie ausgelöst wird durch das Bewusstsein, dass einem "das Herz aus dem Leib gerissen" wurde, bildlich gesprochen zumindest. Oder durch die Herz-Lungen-Maschine, die vielleicht irgendwelche Plaques in den Adern löst, die dann im Gehirn komische Sachen veranstalten. Und lebenslang müssen die Patienten blutverdünnende Medikamente nehmen, wenn sie zum Beispiel eine künstliche Herzklappe eingesetzt bekommen haben. Man sieht: Eine Herz-Operation ist kein Spaß.

In seinem Krankenbett liegt Guido Wenisch und sagt, es gehe ihm stündlich besser. Das wäre ein Wunder, wenn Wenisch auf die herkömmliche Art - Schnitt, Flex, Metallrahmen - operiert worden wäre: Am Tag zuvor war er dran, da wäre er heute noch mit dem Aufwachen beschäftigt. So aber zeugen nur zwei kleine Pflaster unter seiner rechten Brustwarze davon, was die Herzärzte mit ihm gemacht haben. Und die Elektroden, die ein EKG ableiten, sicherheitshalber.

Bevor Guido Wenisch unter der Türritze ins Herzzentrum gekommen wäre, haben ihm die Ärzte auf schnelle und schonende Art geholfen - geheilt haben sie ihn. Wenisch litt an einer Mitralklappeninsuffizienz, das bedeutet, dass seine Herzklappen nicht richtig schlossen. Deshalb musste sich das Herz mehr anstrengen, um dem Körper das Blut zuzuführen, das er braucht. Zwar sagt Wenisch, dass er davon nie etwas gespürt habe, dem aber entgegnet Rüdiger Lange: "Das glaubt er" - der Herzspezialist weiß, dass viele Patienten sich, bewusst oder unbewusst, darauf einstellen, dass ihr Herz und damit sie nicht mehr so leistungsfähig sind: Dann macht man halt mal Pause beim Treppensteigen, das muss ja nicht schlimm sein.

Schlimm ist es bei Guido Wenisch insofern, dass er noch nicht alt ist, 48 Jahre gerade mal. Und dass er unbehandelt darauf hätte warten können, bis er die Beeinträchtigung seiner Leistungsfähigkeit dann doch bemerkt - ob das Herz bis dahin nicht dauerhafte Schäden erlitten hätte, von denen es sich nicht mehr würde erholen können, das kann keiner sagen. Dabei ist der Grund für Wenischs Herzschwäche vergleichsweise banal.

Die Herzklappen, vier Ventile, die sauerstoffreiches von sauerstoffarmen Blut trennen und den Körper-Kreislauf vom Lungen-Kreislauf, sind an Sehnenfäden aufgehängt. Manche Menschen haben, so wie Guido Wenisch, das Pech, dass einer oder mehrere dieser Sehnenfäden reißen - als Alterserscheinung, wegen einer genetischen Veranlagung, einfach so. Dies hat zur Folge, dass die daran hängende Klappe nicht mehr richtig schließt und der Mensch bald beim Treppensteigen Pausen machen muss. Früher wurde das nicht behandelt, nicht gleich jedenfalls, weil die Beeinträchtigung zunächst nicht erlaubt hätte, das Risiko einer Operation am offenen Herzen einzugehen. Nun aber geht die Reparatur der gerissenen Sehnenfäden über zwei Löcher im Brustkorb.

Eingriff per Endoskop

Zurück in seinem Büro, legt Rüdiger Lange eine DVD in seinen Laptop und schaltet einen Breitwand-Monitor an der Wand ein: Dort ist jetzt zu sehen, wie zwei Zangen und so etwas ähnliches wie eine Nadel den Sehnenfaden ersetzen, durch ein Ersatzteil aus Goretex. Das wäre, weil es im Inneren des Herzens passiert, schon eindrucksvoll genug. Noch beeindruckender aber die Vorstellung, dass der Chirurg während des Eingriffs auch nicht mehr sieht als das Bild auf diesem Monitor: Mittels Endoskop und anderer minimalisierter Instrumente arbeitet er sich vom rechten Brustkorb zum Herzen vor und tut, wie eine geschickte Näherin, was getan werden muss.

Die Vorteile für den Patienten liegen auf der Hand: Das Brustbein bleibt heil, auch die Verletzungen im Körperinneren sind geringer als bei der herkömmlichen Operation. Er muss keine Blutverdünner nehmen, nur die ersten drei Monate nach dem Eingriff, zur Sicherheit. Er muss nicht auf Reha, weil er insgesamt nur eineinhalb Wochen im Krankenhaus bleibt - bei einer herkömmlichen Operation fällt der Patient monatelang aus. Vor allem aber: Guido Wenisch ist geheilt, seine Klappen schließen wieder vollständig, nun wird sich sein Herz, vergrößert durch die außergewöhnliche Belastung über lange Zeit, zurückbilden auf ein normales, ein gesundes Maß.

Eine Bagatelle ist der Eingriff natürlich trotzdem nicht, vier Stunden dauert er, die Abklemmzeit, also die Zeit, in der der Patient an der Herz-Lungen-Maschine hängt, ist sogar etwas länger als bei einer offenen Operation. Für einen Patienten wie Guido Wenisch ist die Methode dennoch optimal - nicht anwenden würde Rüdiger Lange sie bei Patienten älter als 70 Jahre, weil da Verkalkungen den Chirurgen zusätzlich das Leben schwer machen können, und bei einigen anderen Ausschlusskriterien. So aber wird Guido Wenisch, wenn diese Geschichte gedruckt wird, schon längst wieder zu Hause sein, eventuell arbeiten, auf jeden Fall aber das machen können, worauf er sich am meisten gefreut hat in seinem Krankenbett: Radfahren.

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Quelle:
SZ vom 02.04.2015
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