Süddeutsche Zeitung

Würmtal:Der Baum als Kostenfaktor

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Sachverständiger aus Gauting fordert wirksameren Schutz für wertvollen Bestand

Von Annette Jäger, Würmtal

Sie musste 200 Jahre alt werden, bis ihr volle Aufmerksamkeit zuteil wurde. Die Eiche, um die es geht, wächst nahe der Grundstücksgrenze in einem Gräfelfinger Garten. Ein paar Äste ragen in Nachbars Garten. Dieser möchte bauen und würde den Baum gerne fällen. Auf keinen Fall, meint der Eichenbesitzer, der 20 Meter hohe Baum soll erhalten bleiben. Der bauwillige Nachbar akzeptiert das und muss sich nun an Auflagen halten: ein spezieller Wurzelschutz ist Wochen vor Baubeginn anzubringen, während der Arbeiten ist ein Schutzzaun aufzustellen, gebaut werden darf nur in sicherem Abstand zum Eichenstamm.

An dem Beispiel entzündet sich nun ein Streit, in den die Gemeinde und das Münchner Landratsamt, Baumsachverständige und Anwälte verwickelt sind. Auslöser ist eine fehlerhafte Angabe im Bauplan, die den Baumbesitzer alarmiert. Er befürchtet, dass der Neubau doch zu nahe an seinen Baum rückt, das Wurzelwerk verletzt wird und der Baum auf Dauer eingeht. Der Streit geht so weit, dass der Baumbesitzer einen Baustopp fordert und mit Klage droht.

Auch wenn sich die Auseinandersetzung inzwischen beruhigt hat - der Bauherr hat laut Landratsamt alle Auflagen eingehalten - so wird die alte Eiche doch zum Sinnbild für das Konfliktpotenzial, das in dem Thema Nachverdichtung steckt: Wenn Nachbarn sich immer mehr auf die Pelle rücken, wird Baumschutz zu einer Herausforderung. Die Konflikte sind facettenreich. Da gibt es die Bauherren, die dankbar für eine Beratung sind, wie sie den alten Baumbestand erhalten können, heißt es im Landratsamt München. Es gebe aber auch jene, die sich durch Auflagen zum Baumschutz gegängelt fühlten, die sich über Laubwurf und Verschattung beschwerten. Die Interessenlagen könnten konträrer kaum sein: Bauherren wollen auf ihrem teuer bezahlten Grundstück maximalen Bauraum ausnutzen und empfinden einen Baum oft als störend; die Nachbarn dagegen wollen ins Grüne schauen. "Selbstverständlich verschärfen der Kostendruck und die hohen Grundstückspreise die Diskussion über zusätzliche Baumschutzmaßnahmen und die damit verbundenen Kosten und Einschränkungen", heißt es im Landratsamt. Wie scharf die Diskussion werden kann, zeigt das Eichen-Beispiel, wenn auch die Auseinandersetzung in ihrer Vehemenz eher ein Einzelfall ist.

Die Kommunen versuchen, den Interessenkonflikt über klare Regelungen zum Baumschutz zu lösen. Damit sind sie nicht immer erfolgreich. Erfahrungen zeigen, dass private Bauherren, insbesondere Bauträger, es mit dem Baumschutz oft nicht so genau nehmen. Tatsächlich kommt es regelmäßig vor, dass Bäume bei Bauvorhaben nicht ausreichend geschützt werden, hat Erk Brudi erfahren, ein Baumsachverständiger aus Gauting, der beruflich viel in Gräfelfing und Planegg unterwegs ist. Das beginne schon bei der Planung. So seien Standorte und Ausmaße von Bäumen in Bauplänen häufig nicht präzise dargestellt. Für den Baum hat das Konsequenzen: Neue Häuser rücken dann zu nah an den Baum, die Wurzeln werden beschädigt, was oft erst Jahre später sichtbar wird, wenn der Baum eingeht.

Rücken die Bagger auf einem Grundstück an, wird privaten Bauherren oft vorschnell dazu geraten, Bäume zu entfernen, weil sie den Baustellenbetrieb behinderten oder es zu teuer sei, sie zu erhalten. Agiert ein Bauträger auf dem Grundstück, räumt der oft sogar erst mal den gesamten Bestand ab, sagt Brudi. Die Gemeinden können zwar Verstöße gegen die jeweiligen Regelungen zum Baumschutz mit einer Geldbuße ahnden, doch die Beträge wirken oft nicht als Abschreckung. In Gräfelfing beispielsweise liegt der Höchstbetrag bei 10 000 Euro, für viele Vergehen fallen geringere Summen an. Angesichts der Grundstücks- und Baupreise im Würmtal wirken diese Summen wie Kleingeld. Da wird bezahlt, heißt die Erfahrung in der Gemeinde Gräfelfing.

Muss ein Baum tatsächlich gefällt werden, weil sonst ein neues Haus nicht gebaut werden kann, verlangen die Behörden oft Ersatzpflanzungen. Doch auch damit gehen viele Bauherren locker um. Die Stadt München hat bei Kontrollen in den vergangenen beiden Jahren festgestellt, dass etwa ein Drittel ihrer Pflanzpflicht nicht nachkamen. Die Stadt München will darauf mit verstärkten Kontrollen reagieren und Bußgelder erheben.

Aber selbst wenn ordnungsgemäß nachgepflanzt wird, können junge Bäume nie einen alten Baum ersetzen. "Ersatzpflanzungen sind oft fraglich", sagt Kerstin Tanzmeier, die zuständig ist für den Baumschutz in der Gemeinde Planegg. Es dauere Jahrzehnte, bis sie den ökologischen Wert eines alten Baumes erreichten. Deshalb seien gerade die Altbestände in den Gärten besonders wertvoll. Wer einen alten Baum fällt, zerstöre mehr als nur den Baum selbst. Die ganze Artenvielfalt, die auf, an und unter ihm lebt, gehe mit ihm verloren. "Der Boden ist so wertvoll wie der Baum selbst", betont der Gautinger Experte Brudi. Das wüssten nur viele nicht. Das Argument, der Erhalt eines Baumes sei zu teuer, kann Brudi nicht gelten lassen. Im Vergleich zum gesamten Bauvorhaben fielen dafür eher geringe Beträge an.

Um Bauvorhaben und Baumschutz unter einen Hut zu bringen, bedürfe es einer Bewusstseinsänderung und mehr ökologischer Kenntnis. Brudi plädiert für eine "qualitative Bestandsaufnahme" des vorhandenen Grüns auf einem Grundstück vor Baubeginn, quasi eine Ökobilanz vor dem Aushub. Damit würden Bauherren nicht nur etwas für den Erhalt der im Würmtal ausgeprägten Artenvielfalt tun, sondern auch für den eigenen Geldbeutel. Denn ein eingewachsenes Grundstück mit altem Baumbestand steigere den Grundstückswert.

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Quelle:
SZ vom 06.07.2018
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