Süddeutsche Zeitung

Weßling:Schlicht und eindrucksvoll

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Die Geigerin Gertrud Schilde gedenkt mit einem Konzert im Pfarrstadl ihrer gestorbenen Mutter

Von Reinhard Palmer, Weßling

Es war ein ganz besonderes Konzert, obgleich im vollbesetzten Weßlinger Pfarrstadl im Grunde genau das passierte, was man von einem kulturellen Abend im besten Fall erwarten können sollte: gemeinsam, von einem künstlerischen Ereignis sensibilisiert und animiert, Gedanken und Empfindungen sozusagen im Geiste teilen, sie in der Pause oder nach dem Konzert auch in einem verbalen Austausch noch einmal Revue passieren lassen. Dass dieses gemeinschaftliche Erleben in diesem Fall so intensiv wahrnehmbar war, lag daran, dass dieses Konzert mit einem sehr persönlichen Hintergrund verknüpft war: Geigerin Gertrud Schilde, am Flügel begleitet von Ihrem Dozentenkollegen an der Münchner Musikhochschule Michael Schneidt, gedachte mit dem Auftritt ihrer am 16. Februar in Alter von 86 Jahren verstorbenen Mutter, Hildegard Schilde, die mit Weßling und dem veranstaltenden Verein Unser Dorf eng verbunden war.

Jahrzehnte hatte die Familie Schilde in Weßling gelebt, bevor sich das nunmehr übriggebliebene Elternpaar vor ein paar Jahren dazu entschloss, aus Altersgründen in die Stadt zu ziehen. Hildegard Schilde engagierte sich zuvor in Weßling intensiv, hatte die Grünsinker Konzerte mit einem anspruchsvollen Programm reanimiert und sich dafür eingesetzt, dass die historische Orgel in der zauberhaften Wallfahrtskirche fachgerecht restauriert wurde und den Konzerten bis heute zur Verfügung steht. Ihr Ehemann, Klavierprofessor Klaus Schilde, ihr Sohn Leonhard und vor allem ihre Tochter Gertrud musizierten in Weßling und Umgebung weiter regelmäßig.

Familie, Verwandte und Freunde aus naher und ferner Umgebung kamen denn auch zahlreich nach Weßling zu diesem besonders emotional grundierten, dabei aber ausgesprochen intimen Konzert, zumal das Programm mit empfindsamen und innig-leidenschaftlichen Werken bestückt war. Allen voran das avantgardistische "Distance de Fée" von 1951 des Japaners Tōru Takemitsu. Dieses Stück war sozusagen der Nukleus des Programms, der die emotionale Komponente geballt und in reinster Form offenbarte. Mit dieser doch recht schwierigen, spieltechnisch heiklen Materie zu beginnen, war eine Herausforderung. Das bewegte Wogen der Musik vermochte aber schon nach wenigen Takten die volle Konzentration im Saal auf sich zu ziehen und das Publikum zu fesseln.

Schilde und Schneidt drückten nicht auf die Tränendrüse. Es ging dem Duo vielmehr darum, mit einer sehr schlichten Interpretation die leisen Ausdrucksmittel sprechen zu lassen. Schneidt nahm wenig Pedal zur Hilfe, im Grunde nur, um das lyrische Legato zu verdichten. Doch ob in der energisch angepackten Sonate e-Moll KV 304 von Mozart oder der wohltuend frisch und warmtonig kolorierten Frühlings-Sonate F-Dur op. 24 von Beethoven: Den größten Eindruck hinterlassen diese Werke, wenn sie sich wie hier von innen heraus entfalten und ihre feinsten Nuancen offenlegen können.

Was nicht bedeutete, dass das Rondo-Finale nicht seine Steigerung zum kraftvollen Schluss bekommen hätte. Der Steigerung standen lediglich mehr Zeit und Ruhe für den Aufbau zur Verfügung. Dies galt schon in der Sonate B-Dur op. 78 von Brahms, die das Duo mit diesem Zugriff von jeglicher romantischer Schwere befreite und die Textur in feinsten Nuancen changieren ließ. Das Adagio entfaltete geradezu den Charakter eines Chorals in sakraler Würde, ohne den lyrischen Gesang zu überfrachten. Die Brahmssche Innigkeit sollte in der zweiten Zugabe - das Lied "Feldeinsamkeit" - auf diese Weise größte Seelentiefe erreichen.

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Quelle:
SZ vom 21.03.2017
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