Süddeutsche Zeitung

Webasto und das Coronavirus:Von Patient 1 zum Impf-Betrieb

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In der Stockdorfer Zentrale begann die Pandemie in Deutschland, nun will der Konzern mit seiner Task-Force bei der Eindämmung von Covid-19 Vorreiter sein. Auch andere Unternehmen in der Region wollen ihre Mitarbeiter immunisieren lassen.

Von Carolin Fries, Gauting

Webasto hat seine Corona-Task-Force nicht aufgelöst, noch nicht. Dort, wo vor bald eineinhalb Jahren die Pandemie in Deutschland mit einem ersten infizierten Mitarbeiter in der Stockdorfer Zentrale des Automobilzulieferers seinen Anfang nahm, will man auch bei der Eindämmung von Covid-19 zu den Ersten gehören: Am Mittwoch werden die ersten "mehr als 50" Mitarbeiter in der Konzernzentrale vom Betriebsarzt immunisiert. Die Task-Force führt jetzt den Zusatz "Impfen".

Erst seit dieser Woche ist es neben den niedergelassenen Medizinern auch den Betriebsärzten erlaubt, gegen Covid-19 zu impfen. Bei Webasto ist die Freude groß, alle Impfslots für den ersten Termin waren in weniger als einer Stunde vergeben, so Unternehmenssprecherin Susanne Killian. Etwa 500 der 1200 Mitarbeiter der Webasto-Zentrale hätten zuvor in einer anonymen Umfrage Interesse bekundet, sich in der Firma impfen lassen zu wollen. Hier weiß man seit der ersten Corona-Stunde, wie schnell sich das Virus unter Mitarbeitern verbreiten kann. Nach allem, was bislang bekannt ist, hatte eine Mitarbeiterin aus Shanghai im Januar 2020 Christoph N. bei Meetings in den Stockdorfer Büros angesteckt. Der damals 33 Jahre alte Landsberger gilt als Patient 1 in Deutschland.

Die Firma hat für die Registrierung ein Buchungstool aufgerüstet und freigeschaltet, über das sich die Mitarbeiter bisher etwa für die jährliche Grippeschutzimpfung anmelden konnten. Die Terminvergabe erfolgt ohne Priorisierung in der Reihenfolge der Anmeldung, geimpft wird in den Räumen des Gesundheitsmanagements. Der Webasto-Vorstandsvorsitzende Holger Engelmann hatte zu Jahresbeginn gesagt, er werde alle Mitarbeiter bitten, sich impfen zu lassen. Die Bereitschaft ist groß - auch Christoph N. hatte angekündigt, sich "sobald als möglich" impfen lassen zu wollen. Bei ihm konnten bereits wenige Monate nach seiner Infektion keine Antikörper mehr gegen das Virus nachgewiesen werden.

Bei TQ-Systems in Seefeld starten die Impfungen von Mitarbeitern am kommenden Montag. Geimpft wird im ehemaligen Codello in Hechendorf, die Immobilie wird derzeit vom Gilchinger Apotheker Stefan Hartmann als Testzentrum genutzt. Laut TQ-Geschäftsführer Stefan Schneider haben etwa 60 Prozent der knapp 650 Mitarbeiter am Standort Interesse an einer Immunisierung angemeldet. Doch auch die Kollegen der Standorte in Peißenberg, Peiting, Murnau, Inning und Delling sollen hier im Fünf-Minuten-Takt eine Spritze erhalten. Schneider spricht von insgesamt 1200 Impfwilligen, zudem hätten sich auch 400 Angehörige angemeldet.

"Die Leute freuen sich", sagt Schneider. Doch es schwinge immer auch die Sorge mit: Wie lange dauert es noch? "Die Ungeduld wird immer größer, und auch ich kann keine zuverlässigen Prognosen geben", bedauert Schneider. Die ersten etwa 100 Mitarbeiter hätten nun für kommende Woche online einen Termin bekommen. Bevorzugt würden Mitarbeiter geimpft, die viele Kontakte haben, etwa weil sie Vorstellungsgespräche führen. Auch das Reinigungspersonal würde priorisiert geimpft. Alle weiteren Mitarbeiter würden anhand ihres Alters gelistet, "es gibt wirklich noch viele Mitarbeiter über 50, die noch warten". Es gehe nicht darum, die Leute wieder möglichst schnell am Arbeitsplatz in der Firma zu haben, sagt Schneider. "Wir wollen unsere Mitarbeiter schützen." Ebenfalls von kommender Woche an werden auch die ersten der knapp 900 Mitarbeiter von 3M in Seefeld in der Praxis des Betriebsarztes gegen Covid-19 geimpft. Wie viel Impfstoff konkret bereit stehe, wollte Sprecherin Sabine Karsch nicht sagen.

Apotheker Hartmann weiß, dass die Lieferungen kontingentiert wurden. Über seine Apotheke hätten sieben Betriebsärzte aus dem Landkreis Impfstoff bestellt, ein Teil davon sei am Montag geliefert worden: insgesamt 228 Dosen Biontech. Er beklagt den hohen Bürokratieaufwand für die Betriebsärzte: "Strukturell hinken wir anderen Ländern Lichtjahre hinterher." Kritik an der Impfpolitik äußert auch der Starnberger HNO-Arzt und Pandemie-Koordinator Bernhard Junge-Hülsing. Denn anders als zunächst angekündigt, würden die Betriebsärzte aus dem Impf-Kontingent der niedergelassenen Mediziner bedient. Das sei "bei ohnehin fehlendem Impfstoff völlig irre". Impfzentren und Hausärzte könnten deshalb kaum mehr Erstimpfungen anbieten. Auch er habe diese Woche zu wenig Impfstoff geliefert bekommen - "wir werden damit nicht die anstehenden Zweitimpfungen schaffen und müssen Termine verschieben", sagt er.

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SZ vom 09.06.2021
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