Süddeutsche Zeitung

Vernissage in Tutzing:Zwanglose Freiheit, ungehemmtes Arbeiten

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Der Künstler Martin Widl zeigt seine Werke in einer Ausstellung in der Akademie für Politische Bildung. Oft bleibt es bei Flächen aus Schlieren, Spritzern, Pinselstrichen und Spachtelspuren.

Von Katja Sebald, Tutzing

Es ist nicht nur eine schöne und seit mehr als drei Jahrzehnten gepflegte Tradition, sondern sozusagen ein feministisches Vorzeigeprojekt, dass Künstlerinnen, die in der Münchner GEDOK organisiert sind, mit ihren oftmals subtilen und meist geistreichen Arbeiten in den Gängen und Speiseräumen der Tutzinger Akademie für Politische Bildung ausstellen. Ziel der 1926 gegründeten Künstlerinnenvereinigung GEDOK ist es, eine gleichgestellte Position von Frauen im Kulturbetrieb zu unterstützen. Das Foyer vor dem großen Auditorium, der attraktivste Ausstellungsort im Gebäude der Akademie, gehört jedoch in den nächsten vier Monaten wieder einmal einem Mann: Der Erdinger Künstler Martin Widl zeigt dort unter dem Titel "Großformatig - Informell - Experimentell" seine Malerei.

Tatsächlich bevorzugt der Maler großformatige Leinwände, die er bis auf wenige Ausnahmen als Hochformate bearbeitet. Wenn man die "Art informel" nicht als historische Erscheinung um die Mitte des 20. Jahrhunderts betrachtet, dann könnten die Bilder von Martin Widl insofern "informell" sein, als sie das psychische Erleben des Künstlers unmittelbar widerspiegeln sollen. Und experimentell sind sie auf jeden Fall insofern, als diese Art der Malerei für Widl "ein ständiges Entdecken und Verwerfen, ein Werden und Vergehen, ein Suchen und Finden" ist und nicht zuletzt explizit auch das Scheitern beinhaltet. Der Maler selbst beschreibt seine Vorgehensweise so: "Sich frei machen von Zwängen und sich dem ungehemmten Arbeitsprozess hingeben." Widl bearbeitet die Leinwände nach eigener Auskunft nicht nur mit Pinsel und Spachtel, sondern auch mit bloßen Händen. Dadurch, so sagt er, entstehe eine enge Bindung an sein Werk.

Über seine künstlerische Ausbildung verrät Widl nur, dass er zu Studienaufenthalten in Irland, Wien und Verona war, und dass er 2019 an einem Künstlersymposium im österreichischen Ybbs teilnahm. Auf seiner Homepage stellt er sich nicht nur als Maler, sondern auch als Musiker vor. Mit einer tragbaren Orgel, Portativ oder Organetto genannt, widmet er sich der Musik des Mittelalters. Einige Titel der in Tutzing gezeigten Bilder lassen darauf schließen, dass es eine Verbindung zwischen Musik und Malerei gibt: Zu sehen ist nicht nur die Arbeit "Sinfonia di Colori", sondern auch "Concerto I" und "Concerto II"; zwei Bilder sind gar mit "Concerto grosso" betitelt, ein weiteres mit "Toccata" und eines mit "Chaconne".

Farbschlieren auf der Leinwand - in wenigen Glücksfällen ergibt sich daraus räumliche Tiefe

Sieht man nun von einigen angedeuteten Landschaften ab, auf denen sich eine Wasserfläche und eine Horizontlinie ausmachen lassen, dann folgen die meisten der insgesamt 16 Bilder einem sehr ähnlichen Prinzip: Der Malgrund wird in mehreren Schichten bearbeitet, Farbe wird aufgetragen und zum Teil wieder abgenommen. Irgendwann im Lauf des Malprozesses wird eine gewisse Farbmenge mehr oder weniger mittig auf die Leinwand geschüttet. Einige Spritzspuren bleiben stehen, das meiste aber wird von der Mitte aus nach außen verteilt.

Die Leinwand wird gedreht, sodass Farbschlieren in mehrere Richtungen laufen. Wird ein heller Farbton auf einen dunklen Untergrund geschüttet, ergibt sich in einigen wenigen Glücksfällen eine Art räumlicher Tiefe. In allen anderen Fällen aber bleibt es bei einer Fläche aus Schlieren, Spritzern, Pinselstrichen und Spachtelspuren. Nicht selten mischt Widl in seine Farben zusätzlich noch größere Mengen von Sand, Erde oder Asche, sodass sich reliefartige Erhebungen auf der Leinwand ergeben. Beim Trocknen entstehen dann auch noch Risse.

Bei einigen Kombinationen aus Rot- und Gelbtönen im Kontrast zu Schwarz könnte man an Vulkanausbrüche denken. Manche dieser "Explosionsbilder" sind in gewisser Weise dekorativ. Subtil oder geistreich wie die meisten Arbeiten der GEDOK-Künstlerinnen sind sie jedoch nicht.

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