Süddeutsche Zeitung

Ausstellung:Das Teddybären-Trauma

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Erich Rüba betreut die Ortsgalerie in Weßling, in welcher der leidenschaftliche Sammler Exponate ausstellt, die mit der Geschichte der Gemeinde in Bezug stehen.

Von Patrizia Steipe

Sein erstes Gemälde hat Erich Rüba vor 50 Jahren gekauft: Ein Stillleben mit drei Äpfeln, das heute noch im Wohnzimmer des leidenschaftlichen Sammlers hängt. Die 80 Mark durfte der junge Mann in drei Raten abzahlen. "Meiner Mutter habe ich nichts davon erzählt, die hätte gesagt, ich spinne", erinnert sich der 68-jährige Weßlinger. Die Sammelleidenschaft hat Rüba nie verlassen. "Wer nicht sammelt, geht am Leben vorbei", findet er. Dabei stehen seine Sammlungen stets im Zusammenhang mit der Ortshistorie. Es sind Fotos, Dokumente und Exponate, die er auf Flohmärkten, in Archiven, aber auch in Weßlinger Abrisshäusern findet.

2016 hat Rüba der Gemeinde 200 Bilder von Weßlinger Künstlern übergeben. Sie bilden den Grundstock der Gemeindegalerie, die Rüba betreut und in der er Sonderausstellungen kuratiert. Zum fünften Geburtstag der Galerie zeigt der Ortshistoriker eine Auswahl an Schenkungen an das Museum - viele davon stammen von Rüba selbst. Beim Betreten der Galerie fällt der Blick auf antiquarische Ausgaben des "Struwwelpeter". Sogar hier gibt es einen Bezug zur Heimat. Rüba hat ein Begleitbuch für den Struwwelpeter als "Schul-Ausgabe im Dritten Reich" entdeckt, das von Joseph Beck aus Etterschlag stammt.

Mitten im großen Ausstellungszimmer steht ein Sofa, das über und über mit Teddybären besetzt ist. Rüba hat nämlich eine Schwäche für Teddybären. "Es fällt mir schwer, an einem oft so traurig dreinblickenden alleingelassenen Teddybären vorbei zu gehen", steht auf der Begleittafel. Der Grund sei sein "kleines Teddybären-Trauma". Der kleine Erich vermisste nämlich als Fünfjähriger ein paar Wochen vor Weihnachten sein geliebtes Kuscheltier. "Alles Suchen, Weinen und Jammern half nichts, er blieb spurlos verschwunden". Zu Weihnachten saß der kleine Bär dann aber endlich - aufgehübscht - unter dem Christbaum.

Das Herzstück der Ausstellung sind aber die Gemälde Weßlinger Maler. Viele hat Rüba mit Anekdoten oder Fotos versehen, denn oft seien es die Geschichten, die ein Objekt so wertvoll machen. Es gibt einen Querschnitt durch die Epochen. Expressive Gemälde von Eva-Maria von Rüschen sowie Bilder von Heinrich Brüne, Max Dörner oder Gerhard Bachhuber. Von den meisten Malern steckt ein gebrauchter Pinsel in dem Behälter auf dem riesigen Schreibtisch, der einst dem Weßlinger Arzt Alois Alzheimer gehörte.

In einer Vitrine liegen Memorabilien wie ein Zigarettenetui, das die diensthabenden Soldaten auf dem Dornier-Flughafen Weihnachten 1946 erhalten hatten, und ein Tanzfächer aus den 1930-er Jahren, auf dem sich die Verehrer der begeisterten Tänzerin Gisela Köhns mit Widmungen in Sütterlinschrift verewigten. Puppen, Puppenstuben und altes Spielzeug runden die Ausstellung ab. Unter vielen hängt die Aufschrift "Speicherfund".

In den letzten Jahren hat Rüba Geschmack daran gefunden, seine Funde historisch in Büchern und Broschüren aufzubereiten. 2020 würdigte er unter dem Titel "Conny Meissen - eine Weßlinger Künstlerin und die weite Welt einer Bildbuchavantgardistin" die nahezu vergessene Künstlerin, die zwischen 1913 bis 1922 in Weßling gewohnt hatte. 1986 hatte Rüba über die Malerin im Heimatbuch von Ortshistoriker Hans Porkert gelesen. Auf einem Flohmarkt in Berlin entdeckte Rüba dann eine Mappe mit Holzschnitten der Künstlerin, und seine Sammelleidenschaft war erweckt. In der aktuellen Sonderausstellung sind ein paar von Meissens Kunstwerke wie der Farbholzschnitt "Mädchengeheimnisse" ausgestellt.

Während es Conny Meissen für einige Jahre nach Mexiko verschlagen hatte, ist Rüba nie über die Gemeindegrenze hinausgekommen. Rüba ist zwar ein paar Mal umgezogen, aber weit ist er nicht gekommen. "Ich habe in allen drei Ortsteilen Weßlings gewohnt", lacht er. "Bereits 50 Meter hinter dem Ortsschild bekomme ich Heimweh". Seine Liebe zur Heimat habe sicher mit der Biografie seiner Mutter zu tun, vermutet Rüba. "Ohne Geld, ohne Arbeit und ohne Heimat" sei sie aus dem Sudetenland nach Weßling gekommen. Zeitlebens habe sie unter Heimweh gelitten. So sei ihm bewusst geworden, dass Heimat nichts Selbstverständliches sei.

Deswegen geht es ihm bei seinen Sammlungen auch nie um das "Horten und unbedingt Haben müssen", sondern um das Bewahren eines Stücks Ortsgeschichte. Seine Recherche führt ihn schon mal auf einen Friedhof, um Namen auf Grabsteinen zu finden, oder er wendet sich an ehemalige Weßlinger. Wer aus dem Ort wegzieht, hebe mehr Erinnerungen an die Heimat auf als Leute, die geblieben seien, so seine Erfahrung. Mittlerweile kämen die Leute auch ungefragt mit ihren Dokumenten und Speicherschätzen auf ihn zu. Alles nimmt Rüba aber nicht an. Oft genüge es ein oder zwei Objekte zu besitzen, "es müssen nicht gleich 50 Bilder sein".

Jeden Freitag und Sonntag von 14 bis 17 Uhr öffnet er den Besuchern in der Hauptstraße 57 die Türen der Gemeindegalerie. Das Gebäude war nicht nur Schulhaus, Gendarmerie-Station und Rathaus, sondern hier hat der französische Impressionist Pierre-Auguste Renoir 1910 bei seinem vierwöchigen Aufenthalt in Weßling gemalt - natürlich ist auch dieser Aufenthalt im Museum sowie in einer Broschüre dokumentiert.

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Quelle:
SZ vom 12.01.2022
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