Süddeutsche Zeitung

Tassilo-Preis:Der mit den Kindern musiziert

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Erik Berthold unterrichtet behinderte und nicht behinderte Kinder an Schulen und Kitas und bringt die Produktionen auch auf die Bühne. Ein großer Spaß, der dem 54-Jährigen mitunter aber auch an die Nieren geht.

Von Gerhard Summer, Oberpfaffenhofen

So was nennt man wohl einen fliegenden Musikzirkus: einen Kastenwagen samt Anhänger, vollgepackt mit Cajons, Trommeln, Percussioninstrumenten, Bässen, Gitarren. Denn Schulen haben zwar für vieles Geld, aber meistens nicht für Instrumente.

Mit seinem Peugeot Boxer klappert Erik Berthold all die Stationen ab, an denen er mit behinderten und nicht behinderten Kindern Songs einstudiert und Rhythmus-Workshops gibt. Die Dienste des umtriebigen Profimusikers und fünffachen Vaters, der selbst einen Sohn mit Down-Syndrom hat, sind nämlich gefragt. An zehn Schulen und Kindergärten im Fünfseenland und in München macht sein Transporter halt, zwei Schulbands leitet Berthold außerdem: die Formation Barrierefrei und die Francis-Band. Und wenn bis zu 40 junge Musiker auf der Bühne stehen, ein paar seiner eigenen Kinder mitmischen, ehemalige Schüler und ein Basslehrer wie Florian Groll dazustoßen, dann ist Berthold in seinem Element. Denn der 54-Jährige, der eine Allergie gegen bürokratische Auflagen entwickelt hat und deshalb auch sein Musikgeschäft "Acoustic Corner" in Oberpfaffenhofen nur noch ohne feste Öffnungszeiten betreibt, mag's kunterbunt und möglichst spontan.

Was Berthold auf seinen Touren auffällt, ist das "Wohlstandsgefälle zum reichen Landkreis Starnberg hin". Die Starnberger Förderschüler kämen oft "aus guten Verhältnissen", an der Förderschule in Aubing zum Beispiel sehe es anders aus. Viele Kinder hätten nicht mal eine Brotzeit dabei, einige seien "total verwahrlost" und wüssten auch nicht mehr, woran sie sich zuhause halten sollen: "Wenn er etwas falsch macht, kriegt er Prügel, wenn er's richtig macht, auch." In Münchner Berufsschulen wiederum gebe es Klassen mit 30 bis 40 Kindern aus aller Herren Ländern. Viele seien traumatisiert, "viele können richtig was", einige seien "einfach Matsch, die bringst du gar nicht hoch". Und natürlich gebe es auch Kinder, die auf der Straße gelebt haben oder schon auf zig verschiedenen Schulen waren. An sie heranzukommen, sei oft schwer.

Andererseits kennt sich Berthold gut mit Schwierigen aus, er war selbst so: Er hat acht Schulen besucht und ist "überall rausgeflogen". Schon deshalb käme er nie auf die Idee, einen renitenten Schüler aus einem Kurs oder aus der Band rauszuwerfen. Allerdings gehe ihm gerade der Unterricht an der Aubinger Förder- und an drei Münchner Berufsschulen an die Nieren. "Das ist oft so, dass du hinterher platt und fertig bist und dich erst mal ins Café hocken musst", sagt Berthold.

Die seit 30 Jahren bestehende Francis-Band der Franziskus-Schule Starnberg leitet er seit November 2016, die beiden langjährigen Gruppenchefs waren damals in Pension gegangen. In der Formation spielen schwerbehinderte Jugendliche im Alter um die 16 Jahre eigene Lieder und Gassenhauer wie "Marmor, Stein und Eisen bricht" und "Über den Wolken". Bisher prägten Playbacks und laute Keyboards den Sound der Formation. Berthold fand: "Die können mehr." Inzwischen dominieren akustische Instrumente und Cajons. Sechs bis acht Auftritte hat die 25-köpfige Francis-Band im Jahr, denn Berthold vertritt die Auffassung: "Wir müssen raus in die Öffentlichkeit." Die Konzerte seien "ein Riesenspaß", aber von der Logistik her "ein Wahnsinn, denn wir haben Rollstuhlfahrer dabei, alles muss barrierefrei und das Essen vorbestellt sein." Der Folkmusiker Berthold, der selbst etwa 200 Auftritte im Jahr bestreitet, ob in Kneipen, auf Hochzeiten oder Floßfahrten, und mit dem Kulturpreis 2013 des Landkreises Starnberg und dem Deutschen Bürgerpreis 2015 ausgezeichnet worden ist, sagt es so: "Die Jugendlichen wollen Musik spielen, die sind glücklich, das Schwierige ist das Drumherum. Und die Eltern müssen mitziehen."

Die Süddeutsche Zeitung vergibt ihren Tassilo-Kulturpreis seit der Jahrtausendwende. SZ-Leser können auch 2018 wieder Kandidaten vorschlagen. Mails und Briefe unter lkr-starnberg@sueddeutsche.de und an die Adresse Gautinger Straße 9 in 82319 Starnberg.

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SZ vom 09.01.2018
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