Süddeutsche Zeitung

SZ-Adventskalender:Wenn die Kraft fehlt

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Linda F. musste ihren Sohn tot gebären. Nun versucht die chronisch kranke Frau, die mehrere Schicksalsschläge erlitt, wieder auf die Beine zu kommen

Von Manuela Warkocz, Tutzing

Die Hebamme signalisiert 30 Stunden vor der Entbindung noch: "Alles bestens". Doch als Linda F. (Name geändert) kurz darauf am 27. April zum vereinbarten Geburtstermin ins Starnberger Klinikum kommt, stellen die Ärzte keine Herztöne mehr bei ihrem ungeborenen Sohn fest. Ein Schock für die 37-Jährige, die sich so sehr ein Baby gewünscht hat. Wegen mehrerer chronischer Krankheiten kann sie als Kinderpflegerin nicht mehr arbeiten; sieben Jahre hat sie ihren Vater mitgepflegt, der im Wachkoma lag.

Linda F. erhoffte sich mit dem Kind ein bisschen Glück. Stattdessen muss sie am folgenden Tag ihren toten Sohn gebären. Ihr Partner verlässt sie noch im Wochenbett. Sie könnte nun in München Hilfe bei einem Trauma-Therapeuten erfahren, aber die regelmäßigen Fahrtkosten von Tutzing in die Stadt kann sich die Frau nicht leisten. Eine MVV-Jahreskarte soll helfen.

Jahrelang hatte Linda F. versucht, schwanger zu werden. Vergeblich. Zwei Beziehungen waren daran gescheitert. "Die Männer wollten halt eine Familie gründen, ich versteh das", sagt sie. Sie fand sich damit ab, dass es nicht klappt. "Wenns der liebe Herrgott so will", sagt die gläubige Christin. "Und ich hatte ja sozusagen meine Kinder im Kindergarten." Bis ihre Nebenhöhlenentzündungen chronisch wurden, das Trommelfell platzte und mehrere Operationen auch nicht halfen. Dazu kamen Asthma und dermatologische Probleme, 25 Jahre hat sie Cortison genommen, schildert sie ihre Belastungen.

Eine Lungenentzündung überstand sie 2015 nur knapp, lag sechs Wochen flach. Ein Arzt riet ihr dringend, sich nicht mehr dem Infektionsrisiko in einer Kindertagesstätte auszusetzen. Nach 20 Jahren gab sie den geliebten Beruf auf. Mit 15 Jahren hatte sie die Ausbildung zur Kinderpflegerin begonnen - sie musste damals rasch einen Beruf erlernen, nachdem der Vater mit einem Geschäft bankrott gegangen war.

Und gerade, als sie nicht mehr damit rechnete, wurde sie schwanger. Mit einem Mann, den sie für den "perfekten Vater" hielt. Trotz Diabetes sei die Schwangerschaft gut verlaufen. Warum das Baby im Mutterleib starb? Auch die Ärzte seien ratlos gewesen, hätten es mit plötzlichem Kindstod zu erklären versucht. Ihren kleinen Jungen, der aussah, als ob er schliefe, durfte sie noch 24 Stunden bei sich haben. "Er war perfekt, 52 Zentimeter groß, 3225 Gramm schwer, voll entwickelt."

Eine Fotografin der Klinik machte Aufnahmen von ihrem Sternenkind. Eine Seelsorgerin kümmerte sich um die verzweifelte Mutter. "Ich habe nur geweint." Dann die Beerdigung ihres Babys, die sie allein bewerkstelligen musste.

Sie lässt ihn im Grab ihres Vaters auf dem Tutzinger Friedhof bestatten. Pfarrer Peter Brummer suchte nach tröstenden Worten, hilft, so gut es geht. Heute besucht Linda F. oft das Grab ihres Sohns. Es ist ihr wichtig, dass es gepflegt ist. Oder sie versucht die Trauer zu bewältigen vor dem kleinen Altar zu Hause mit Fotos und Erinnerungsstücken von ihrem Sohn.

"Jetzt wäre er acht Monate, könnte sitzen, vielleicht krabbeln", stellt sich Linda F. vor. Und weint. Sie wünscht sich, wieder stark zu sein, hofft auf eine Umschulung, sobald es ihr psychisch besser geht. "Ich war ja immer ein sehr aktiver Mensch." Aber momentan fehlt ihr die Kraft.

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Quelle:
SZ vom 05.01.2021
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