Süddeutsche Zeitung

Pfahlbauten im Starnberger See:Zerstört aus Unwissenheit

Lesezeit: 2 min

Obwohl die prähistorischen Siedlungsreste vor der Roseninsel seit zehn Jahren zum Unesco-Weltkulturerbe gehören, nehmen Ausflügler kaum Rücksicht.

Von Sylvia Böhm-Haimerl, Feldafing

Auf einem Tisch hat Unterwasserarchäologe Maximilian Ahl Scherben aus der Bronzezeit aufgereiht. Daneben liegt der Teil eines Schweinekiefers mit Zähnen, auch Rinder und Pferdeknochen sind zu sehen. Es ist Müll, den die Bewohner der Pfahlbauten hinterlassen haben und der in den vergangenen Jahren vor der Roseninsel aus dem Wasser geholt wurde. Während für den Unterwasserarchäologen die Reste der früheren Siedlung voller Bedeutung sind, scheren sich viele Ausflügler nach wie vor kaum um die Schutzzone rund um die Roseninsel - auch wenn die Pfahlbauten seit nunmehr zehn Jahren zum Unseco-Welterbe gehören.

Weil das Wasser im Starnberger See sehr sauerstoffarm ist, sind die Funde gut erhalten und Ahl kann sie relativ genau datieren. Es gibt Bruchstücke einer Wandheizung aus römischer Zeit. Sie ähneln den Funden aus der römischen Villa in Leutstetten. Ob auf der Roseninsel jemals Römer gewohnt haben, wisse man allerdings nicht, erklärt Ahl. Bis heute habe er auch nicht herausfinden können, wie die Fliesenstücke aus den 1850er-Jahren ins Wasser kamen, als das Casino auf der Roseninsel gebaut wurde. Denn diese speziellen Muster habe man im Gebäude nicht gefunden.

Etwas Fantasie braucht man schon, um sich mit der prähistorischen Brille in die Bronzezeit versetzt zu fühlen.

Ab und zu muss Unterwasserarchäologe Martinus Freq-Martin zum Megafon greifen, um Badende und Schiffe auf Distanz zur Roseninsel zu halten.

Wissenschaftler präsentieren jede Menge Fundstück, die sie im Wasser entdeckt haben.

Ahl zeigt nur einen kleinen Teil der Funde aus 6700 Jahren Inselgeschichte, die die Forschungstaucher aus dem Wasser geholt haben. Ihr besonderes Augenmerk liegt auf den ältesten Funden, den Pfahlbauten, die lange Zeit im Dornröschenschlaf lagen. Erst am 27. Juni 2011, also genau vor zehn Jahren, wurden sie zusammen mit 111 Pfahlbaufundstellen aus der Jungsteinzeit und Bronzezeit in Deutschland unter Schutz gestellt. Zum Jubiläum gaben die Schlösser- und Seenverwaltung, das Bayerische Landesamt für Bodendenkmalpflege sowie die Bayerische Gesellschaft für Unterwasserarchäologie am Samstag einen Einblick in die Jahrtausende alte Siedlungsgeschichte auf der Roseninsel.

An neun Stationen konnten sich die Besucher über die Arbeit der Wissenschaftler informieren. Auf einer Grafik ist der Einbaum von 900 vor Christus in Originalgröße zu sehen. Er wurde 1989 geborgen und erstmals in der Landesausstellung 2018 gezeigt. Michaela Spindler hat ihre Masterarbeit über ein pädagogisches Konzept zum Schutz des Welterbes geschrieben. An ihrem Stand können sich Besucher mit einer prähistorischen Brille in die Bronzezeit versetzen und mit einer anderen Brille sehen, wie schnell ein Welterbe zerstört werden kann.

Helmut Krüger aus Feldafing kann sich noch gut an Zeiten erinnern, als vor der Insel noch Boote ankerten und gebadet wurde. Immer wieder hätten sich Leute an den Füßen verletzt. Erst als festgestellt wurde, dass die Holzsplitter, die aus den Zehen gezogen wurden, sehr alt seien, habe man angefangen, den Seegrund abzusuchen, erzählt er. Das war Anfang der 1970er-Jahre, wie Markus Gschwind vom Landesamt für Denkmalpflege verrät. Doch die Pfahlbauten fanden weiterhin wenig Beachtung.

Aus Unwissenheit wurden und werden immer wieder Fundstellen zerstört. Obwohl heute Warnschilder auf die Schutzzone hinweisen, würden die roten Bojen immer wieder ignoriert, weiß Unterwasserarchäologe Martinus Fesq-Martin. Mit einem Megafon bittet er dann die Leute, die Schutzzone zu verlassen. Erst vor einer Woche hat er "einen besonders krassen Fall" erlebt, als ein Boot in der Schutzzone geankert habe. Der Bereich, an dem im Mittelalter eine Brücke zur Insel führte, sei überhaupt nicht geschützt, bedauert er.

Beim Einholen des Ankers würden dann meterlange Schneisen gezogen und die Fundorte zerstört. Fesq-Martin wünscht sich deshalb ein Ankerverbot. Laut Gschwind handelt es sich um einen sehr ärgerlichen Einzelfall. Welche Schäden er verursacht hat, konnte bislang noch nicht festgestellt werden. Wegen der Gewittergefahr hätten die Taucher noch nicht nachsehen können. Allerdings räumt auch Gschwind ein, dass es sich bei den Hinweisschildern nicht um ein Verbot handelt, sondern nur um einen "Aufruf zur Vernunft".

Sein Wunsch ist es, die Besucher stärker zu sensibilisieren, welche Gefahr für das wertvolle Welterbe entstehe. Am Samstag wurden 342 Besucher gezählt. Wie der Forscher betont, sind das weniger als die Jahre zuvor, aber dafür hätten sie "außergewöhnliches Interesse" gezeigt.

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SZ vom 05.07.2021
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