Süddeutsche Zeitung

SZ-Adventskalender:Hilfe für Familien mit unheilbar kranken Kindern

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Der Verein JoMa-Projekt aus Weßling steht Betroffenen in Krisensituationen beiseite und unterstützt mit pädagogischen Seminaren bei der Bewältigung des Alltags.

Von Carolin Fries, Weßling

Wie ist es zu schaffen, das schier Unerträgliche doch zu ertragen? "Es geht", sagt Marion Getz, "mit Unterstützung". Die Sozialpädagogin und Traumatherapeutin begleitet mit ihrem "JoMa Projekt" Familien mit unheilbar kranken und schwerstbehinderten Kindern. Sie und ihre Kollegen stehen Eltern in Krisensituationen etwa kurz nach der Diagnose oder beim Sterbeprozess beiseite. Der Verein bietet den Familien außerdem pädagogisch-therapeutische Seminare an, die das durch Krankheit, Ängste und Sorgen oft aus den Fugen geratene Familiensystem stabilisieren helfen. "Wir machen echt was Gutes", ist die 49-Jährige überzeugt.

Etwa 70 Familien im süddeutschen Raum begleitet der Verein, der sich im Jahr 2000 noch unter einem anderem Namen in Germering gegründet hat. Dazu gehören seit vielen Jahren auch Petra und Daniel M., die lieber anonym von ihren Erfahrungen mit ihrem inzwischen 19 Jahre alten schwerbehinderten Sohn Paul erzählen wollen. Ein Leben, das sie weitgehend isoliert hat, weil es von der intensivmedizinischen Versorgung Pauls bestimmt wird. "Mit solchen Kindern wird man nicht eingeladen", erzählt Petra M. Und man treffe auch keine anderen Eltern auf dem Spielplatz, in der Kita oder beim Elternabend. Petra M. ist dankbar, einmal im Jahr ein Mütterseminar des JoMa-Projekts besuchen zu können. "Das ist mein Urlaub, sonst komm' ich nicht weg." Bei den Seminarangeboten könne sie abseits des strukturierten Pflegealltags aufatmen und sich mit Frauen in ähnlichen Situationen austauschen. Doch die Seminare sind keine reinen Freizeit- und Erholungsprogramme, in den Tagungsräumen wird auch intensiv gearbeitet, unter anderem an Konzepten, den erschöpfenden Alltag auch weiterhin meistern zu können. Oder aber an Strategien, sich mit dem nahenden Tod des Kindes auseinanderzusetzen - dafür bleibt sonst kaum Zeit. Die Nachfrage für die Seminare ist groß, der Verein baut sein Angebot kontinuierlich aus. Seminare gibt es auch für Väter, Geschwisterkinder oder die ganze Familie. Im letzten Fall müssen zusätzlich Pflegebetten organisiert werden sowie Pflegekräfte. Das kostet viel Geld, für ein Familienseminar für acht bis zehn Familien kommen schnell einmal 25 000 bis 30 000 Euro zusammen.

Die Familien will und kann der Verein abgesehen von einem geringen Eigenanteil nicht belasten. "Dadurch dass oft nur ein Elternteil arbeiten kann, sind deren Spielräume ohnehin beschränkt", so Getz. Einen staatlichen Fördertopf gibt es nicht, also finanziert sich der Verein über Spenden und Kooperationen mit Stiftungen. Der Adventskalender für Gute Werke der Süddeutschen Zeitung hat im Sommer ein viertägiges Mütterseminar in Riederau am Ammersee unterstützt.

Deutschlandweit gibt es Schätzungen zufolge etwa 50 000 Familien mit unheilbar kranken Kindern. Die meisten leiden unter genetischen Defekten oder Stoffwechselerkrankungen, etwa ein Drittel hat Krebs. Was diesen Familien am meisten zu schaffen macht? "Die Steine, die man ihnen in den Weg legt", sagt Getz. Ihr Schicksal würden alle Beteiligten in der Regel annehmen lernen. Doch dass sie mit Kranken- und Pflegekassen um die Genehmigung eines Pflegedienstes oder Hilfsmittel ringen müssen, sei zermürbend. "Es ist ein ständiger Kampf", sagt Getz. Sie selbst hat 13 Jahre lang ihren unheilbar kranken Sohn Joshua versorgt, bevor dieser 2011 starb. Er war ein Jahr alt, als die Ärzte eine Leukodystrophie diagnostizierten, die das Nervensystem des Jungen zerstörte. Getz, die damals noch im Studium steckte, fühlte sich ziemlich allein gelassen in einer Welt, in der kranke und behinderte Menschen in der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen werden und früh in Parallelsystemen landen, "wie aussortiert". Also gründete sie zusammen mit Eltern, die sie bei der Krankengymnastik kennengelernt hat, den Verein. Da war Joshua drei Jahre alt und Getz auf der Suche nach Unterstützung für dessen sechs Jahre älteren Bruder. "Es steckt viel von den Kindern in dem Verein", sagt sie. Von Joshua jedenfalls mehr als nur die Anfangsbuchstaben seines Namens. Ebenso von Maren, der ebenfalls inzwischen verstorbenen Tochter einer Gründungs-Kollegin.

Getz hat inzwischen mehrere Bücher über das Leben mit unheilbar kranken Kindern geschrieben, eines erzählt Joshuas Geschichte. Ihre persönlichen Erfahrungen kommen der Therapeutin im Umgang mit anderen betroffenen Familien zugute. "Ich spreche die gleiche Sprache." Und noch viel mehr: "Ich habe überlebt." Getz und ihre Mitarbeiter - zwei Sozialpädagogen und eine Assistentin - wissen, worauf es ankommt: Zuhören, die Ohnmacht mit aushalten, da sein. Sie geben den Familien außerdem ein Werkzeug in die Hand, um schwierige Situationen meistern zu können. Mit den erkrankten Kindern etwa erfinden sie ein Krafttier, das ihnen in traumatisierenden oder besonders schmerzhaften Situationen beiseite steht. Eltern lernen ein schrittweises Handeln in unbekannten, schwierigen Situationen. "Sie müssen ja ständig Entscheidungen treffen. Und die müssen gut sein", erklärt Getz. Mit diesen müssten die Eltern schließlich weiterleben können. Also: inne halten. Und nacheinander die Fragen klären: Was ist? Was brauche ich? Wo finde ich das? "Die Antworten liegen in den Familien selber, sie lassen sich im Gefühlschaos bloß schwer finden."

So traurig die Begleitung für Getz und ihr Team oft auch sein mag: "Wir können auch zusammen lachen", sagt sie. Lachen und Weinen lägen sehr nah beieinander.

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Quelle:
SZ vom 20.11.2021
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