Süddeutsche Zeitung

Städtepartnerschaft:Ein seltsam anmutendes Gastgeschenk

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Schondorf bekommt von seiner norditalienischen Partnerstadt Boves eine Reliquie als Präsent. Zeitgemäß ist das nicht gerade. Aber in der Ammersee-Gemeinde hat die Übergabe einen bestimmten Grund.

Von Sabine Bader, Schondorf

Bei Partnerschaftsbesuchen werden meist auch Gastgeschenke übergeben. Oft ist es etwas Kulinarisches aus der jeweiligen Region, im Bairischen auch gern "Fresskorb" genannt. Findet der Partnerschaftsbesuch im Wonnemonat Mai statt, ist das Präsent auch gern mal ein kleiner Maibaum oder weil gerade Pflanzzeit ist, ein echtes Bäumchen, das symbolisch für die Partnerschaft und deren Gedeihen steht.

Nicht so in der Ammersee-Gemeinde Schondorf. Da bringen die Gäste aus dem italienischen Partnerstädtchen Boves im norditalienischen Piemont ein eigenwilliges Präsent mit: eine Reliquie mit kleinen Knochenstücken zweier seliggesprochener Priester. Eine Reliquie? Ist das heute noch zeitgemäß? Klare Antwort: nein! Aber sie hat in diesem Fall durchaus ihren Hintergrund.

Um ihn zu verstehen, muss man ins Jahr 1943 zurückgehen. Am 19. September verübte die 1. SS-Panzer-Division in Boves ein Massaker, bei dem 350 Häuser in Flammen aufgingen und viele Zivilisten getötet wurden, darunter auch die beiden Geistlichen des Ortes, Giuseppe Bernardi und Mario Ghibaudo. Die beiden Pfarrer sind 2022 seliggesprochen worden. Joachim Peiper war der Kommandeur der damaligen SS-Truppe, die auf der Suche nach Partisanen für das Massaker verantwortlich ist. Er liegt auf dem Friedhof der Schondorfer Sankt-Anna-Kirche begraben.

Das Verhältnis der beiden Partnergemeinden zueinander ist also keineswegs alltäglich. Natürlich spielt die Aussöhnung bei Städtepartnerschaften nach dem Zweiten Weltkrieg stets eine Rolle. Und aus so mancher deutsch-französischen Beziehung sind dann tatsächlich Freundschaften über Ländergrenzen hinweg erwachsen. Beispiele dafür gibt es in der Region eine ganze Menge, allen voran die Partnerschaft zwischen der Stadt Starnberg und dem bretonischen Küstenstädtchen Dinard.

Aber in dem speziellen Schondorfer Fall geht es um mehr als eine Aussöhnung nach dem Zweiten Weltkrieg. Es geht konkret um Vergebung. Nur, wer das verstanden hat, versteht auch den Grund für das seltsam anmutende Gastpräsent, das die 40-köpfige Delegation aus Boves kürzlich im Gepäck hatte. Es ist eine schmerzvolle Geschichte, die die beiden Orte verbindet. Und sie steht sinnbildlich dafür, dass Versöhnung immer möglich ist und möglich sein sollte. Über Versöhnung sprach darum auch der Augsburger Bischof Bertram Meier in seiner Predigt bei der feierlichen Übergabe der Reliquie in der Sankt-Anna-Kirche und darüber, dass die beiden Priester trotz der Gefahr bei ihren Gläubigen geblieben waren.

Bis 2013 wussten die allermeisten Schondorfer nichts über die Verbrechen Peipers und darüber, was es mit seinem Grab auf sich hat. Peiper war erst Adjutant Himmlers und bei Kriegsende hochdekorierter Führer der Waffen-SS. Er wurde für Kriegsverbrechen seiner Einheit in Italien und Belgien verantwortlich gemacht. Peiper selbst stammt gar nicht aus Schondorf. Lediglich sein Onkel lebte hier. Darum existiert ein Familiengrab.

Die Bürger aus Boves haben schließlich Nachforschungen angestellt und den Kontakt zu Schondorf gesucht. Zuerst war das Ganze über die beiden Kirchengemeinden gelaufen. Das war vor zehn Jahren. Später kam noch die politische Gemeinde hinzu. Heute gibt es eine offizielle Städtepartnerschaft. Seit fast zwei Jahren existiert auch ein Partnerschaftsverein.

Beeindruckende "Friedensschule" von Boves

Dessen Vorsitzende ist Mirjam Gall. Die 34-Jährige ist Italienischlehrerin an der Fachhochschule in Weilheim. Doch nicht nur die Tatsache, dass sie die Landessprache perfekt spricht, qualifiziert sie für den Vorsitz. Es ist auch ihr Einsatz für die Völkerverständigung. Als sie nämlich 2016 das erste Mal in Boves war, hat sie die dortige "Friedensschule" mit ihren Projekten kennengelernt. "Das hat mich unheimlich beeindruckt." Natürlich glaubt sie, dass es schwierig ist, Grundschülern zu erklären, was eine Reliquie ist und warum Schondorf eine solche nun ihr Eigen nennen kann. Aber das Verständnis für die Geschichte lasse sich auch Kindern vermitteln. Galls Ziel ist es, gerade die Jugend in die Städtepartnerschaft einzubinden und den Frieden auf der zwischenmenschlichen Ebene zu fördern.

Das hofft auch Schondorfs Bürgermeister Alexander Herrmann. Er sieht in der Reliquie eine Art "Brückenkopf", ein Bindeglied zwischen den beiden Kommunen. Und eine "große Wertschätzung, dass man sie uns antraut". Schließlich handle es sich bei Joachim Peiper "definitiv um einen Kriegsverbrecher", dessen Grab nur 60 Meter von der Sankt-Anna-Kirche entfernt ist, wo die Reliquie in einem Seitenaltar ihre neue Heimat hat. Anfangs war Herrmann, anders als sein italienischer Amtskollege, im Zweifel darüber, ob die Aufarbeitung der grausamen Ereignisse von 1943 tatsächlich für die Gründung einer Städtepartnerschaft auf politischer Ebene ausreichen. Aber mittlerweile ist er da guten Mutes. "Es gibt beispielsweise Verbindungen der beiden Chöre, die Fußballer denken über ein Treffen nach und es sind auch schon Freundschaften entstanden."

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