Süddeutsche Zeitung

Starnberg:Wie Lurchlotsen die Krötenwanderung unterstützen

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Bald machen sich die Amphibien wieder auf den Weg zu ihren Laichtümpeln. Sie sind die am stärksten bedrohte Tiergruppe und auf die Hilfe von Naturschützern angewiesen - die erwarten die Übergänge mit Spannung.

Von Armin Greune, Starnberg

Der große Schwung an Wanderern ist im Fünfseenland bislang ausgeblieben. Wenn aber wie erwartet am Karfreitag Schauer niedergehen sollten, erwarten die Lurchlotsen einen Ansturm der Amphibien auf die Laichgewässer im Landkreis: Dann haben sie entlang der Schutzzäune an den Straßen wieder alle Hände voll zu tun, um Kröten, Frösche und Molche sicher über den Asphalt zu geleiten.

Gertrud Ley etwa ist seit gut zehn Jahren im Amphibienschutz engagiert, sie betreut die Übergänge zwischen Erling und Machtlfing zur Seachtn. Zwar sind Kröten auch für sie nicht unbedingt Kuscheltiere - doch sie glaubt, in den schwarzen Knopfaugen der Tiere so etwas wie dankbares Erkennen zu erblicken, "als hätten sie schon auf uns gewartet". Die derzeit allnächtlichen Sammelaktionen bereiten ihr und den übrigen Andechser Lurchlotsen Spaß: "Wir freuen uns darauf wie auf das Eiersuchen an Ostern", sagt Ley.

Ihr ehrenamtlicher Einsatz gilt einer Gruppe von Lebewesen, die lokal wie global stark bedroht ist. Die Klasse der Amphibien oder Lurche nimmt im weltweiten Artensterben die Spitzenposition ein. Gut ein Drittel der 6000 Spezies gilt als gefährdet, stark bedroht oder ausgestorben; für ein weiteres Viertel fehlt es an Daten, um den Bestand zu bewerten. Neben Pilzinfektionen, Pestiziden, Überdüngung und Insektensterben wirkt sich auf den Rückgang die Zerschneidung von Lebensräumen durch Verkehrswege aus. Auch die Klimaerwärmung spielt wohl eine wichtige Rolle - denn Lurche sind wegen der amphibischen Lebensweise auf Laichgewässer und aufgrund ihrer Hautatmung gegen Austrocknung sehr empfindlich.

Von immer längeren Trockenperioden, dem Verschwinden von Pfützen und Tümpeln und Gefahren auf ihren Wanderwegen sind auch die heimischen Amphibien betroffen. Ein genereller Schwund der Amphibien im Fünfseenland lässt sich noch nicht belegen - aber Helen Falk, Geschäftsführerin der Kreisgruppe im Bund Naturschutz (BN), fallen auf Anhieb einige Laichbiotope ein, wo die Populationen weitgehend erloschen oder abgewandert sind. Dazu gehört etwa das Söckinger Michelmoos, doch auch in Leutstetten oder an der Strecke Erling-Rothenfeld können es sich BN und Straßenmeisterei inzwischen sparen, im März entlang der Straßen Auffangzäune zu entrollen.

Laubrosch

Er ist wohl der populärste Vertreter der heimischen Amphibien: Der Laubfrosch ist kaum größer als eine Zündholzschachtel, seine glänzend-glatte Haut kann die Farbe zwischen grasgrün und graubraun wechseln. Die Haftscheiben an den Füßen weisen ihn als ausgezeichneten Kletterer aus, die Sommer verbringt er meist in Büschen und dornigen Sträuchern. Zu den Laichtümpeln kann er bis zu zwölf Kilometer weit wandern, viele Laubfrösche fallen dabei dem Straßenverkehr zum Opfer. Die Art ist in der Roten Liste Bayern als "stark gefährdet" aufgeführt.

Springfrosch

Mit seiner schlanken, langbeinigen Statur wirkt er relativ athletisch. Tatsächlich kann der sechs bis acht Zentimeter große Springfrosch bis zu zwei Meter weit hüpfen. Er ist eigentlich ein wärmeliebender Waldbewohner, dennoch erwacht er relativ zeitig aus der Winterstarre und wandert von Februar bis April zu den bis zu 1,5 Kilometer entfernten Laichgewässern. In Bayern gelten Springfrösche als gefährdet, im Anhang der FFH-Richtlinie sind sie als streng zu schützende Art aufgeführt.

Kammmolch

Anders als die viel häufigeren Berg- und Teichmolche kann diese kräftig wirkende Art so lang wie eine Männerhand werden. Die Männchen tragen zur Paarungszeit von März bis Juni einen hohen gezackten Rückenkamm, wie bei den zierlicheren Verwandten zeigt der Bauch des Kammmolchs eine leuchtend orange Färbung. In der Roten Liste Bayern ist die Art als stark gefährdet aufgeführt. Neben Biotopverlusten wird die Zerschneidung der Lebensraumkomplexe durch Straßen für den Rückgang des Kammmolchs verantwortlich gemacht.

Gelbbauchunke

Die nur vier Zentimeter langen Tiere sind mit ihrem braunen, warzenübersäten Rücken und dem schwarz-gelben Muster auf dem Bauch unverwechselbar. Gelbbauchunken suchen als Pionierart zum Laichen von April bis August auch kleinste Pfützen im Wald auf. Sie bleiben stets in Gewässernähe und legen selten größere Distanzen zurück, weshalb sie auch nur selten an Amphibienschutzzäunen aufgesammelt werden. Wegen der Habitatverluste und der Gewässerverunreinigungen ist die Art deutschlandweit als stark gefährdet eingestuft.

Dass heuer die größeren Amphibienwanderungen noch nicht eingesetzt haben, findet Falk "sehr merkwürdig", eine Erklärung wäre der erneute Wintereinbruch Mitte März. Mit großer Spannung blicken die Naturschützer nun auf den ersten Abend, an dem hohe Luftfeuchtigkeit und mehr als fünf Grad plus herrschen: Dann wird sich wohl das Gros der Kröten, Frösche und Molche auf den Weg zur Paarung und zum Laichen machen.

Ein kleiner Teil der Amphibien hat aber schon das schmale Zeitfenster vor dem Kälteeinbruch genutzt: Am 11. März waren schon Erdkröten und Bergmolche in Widdersberg auf der Wanderung, in Krailling ließen sich auch die ersten Springfrösche blicken. Dieser stark bedrohten Art gilt wie dem ebenso raren Kammmolch besondere Aufmerksamkeit: Für beide sind Weßlinger- und Wörthsee mit die letzten Refugien im Fünfseenland. Wie bedeutend diese Vorkommen für die Art sind, lässt sich am Aufwand ablesen, der beim Bau der Weßlinger Umfahrung in den Amphibienschutz gesteckt wurde. 800 000 Euro wurden in ein Leitsystem mit 42 Durchlässen investiert, das sich als kontraproduktiv erwies: Viele Lurche verendeten auf für sie ungeeigneten Belägen.

Im vergangenen Jahr hat das Straßenbauamt dort Humus ausgebracht und dabei "richtig gut gearbeitet", findet Falk. Man könne dem Tiefbauamt nur bedingt Fehlplanung vorwerfen, denn normalerweise sind die Anlagen für die häufigeren Arten ausgelegt, für die in Weßling präsenten Springfrösche und Kammmolche fehlte es schlicht an Erfahrungen. Ob die Nachbesserungen an der Umfahrung dauerhaft Erfolg zeitigen, soll eine Akzeptanzkontrolle 2022 ergeben.

Betreute Amphibienübergänge befinden sich im Gautinger Weiler Hausen und am Buchhof bei Starnberg. In Gilching patrouillieren Lurchlotsen an der Bodensee- und Melchior-Fanger-Straße sowie an der Römerstraße südwestlich von Gut Hüll; in Weßling bei Gut Mischenried; in Wörthsee an der Kuckuckstraße und der Autobahnauffahrt. In Herrsching gibt es nächtliche Wanderungen an der Hechendorfer- und Rieder Straße, sowie am Widdersberger Weiher. Alle können sich bis Mitte April hinziehen, falls Regen ausbleibt.

An der Seachtn wünscht sich Gertrud Ley von einzelnen Autofahrern mehr Aufmerksamkeit: Trotz Hinweisschildern, Taschenlampen und Warnwesten rasten manche gedankenlos weiter. Das habe auch schon potenzielle Helfer abgeschreckt: "Manchen Sammlern war es einfach zu gefährlich."

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Quelle:
SZ vom 01.04.2021
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