Süddeutsche Zeitung

Mitten in Herrsching:Alles muss raus

Es soll Leute geben, die nicht nur Klamotten oder Geräte, sondern auch Erinnerungen entrümpeln

Kolumne von Astrid Becker

Ach, wie befreiend das doch ist! Einfach mal entrümpeln. Kleidungsstücke ausmisten, die man seit fünf Jahren nicht mehr getragen hat. Geräte, deren Sinn und Zweck man noch nie verstanden hat, dem technikaffinen Nachbarn schenken, der im Gegenzug vor lauter Begeisterung verspricht, heuer auch mal Schnee zu schippen. Herrlich.

Es soll ja sogar Leute geben, die nicht nur Klamotten oder Geräte, sondern auch Erinnerungen entrümpeln. Alte Fotoalben zum Beispiel. So geschehen kürzlich in Herrsching. Bürgermeister Christian Schiller staunte jedenfalls nicht schlecht, als im Windfang seines Rathauses, direkt auf dem Briefkasten, ein Fotoalbum lag mit Familienbildern aus den Fünfzigern und Sechzigern, kurz: ein Traum in Sepia, aufbewahrt in schickem Retro-Orange.

Um es gleich zu sagen: Schillers Familie ist auf den Bilder nicht zu sehen. Wer sonst und warum das Teil bei Schiller überhaupt gelandet ist, weiß bis jetzt niemand. Nicht einmal der Gemeinderat. Deshalb will Schiller das gute Stück jetzt dem Fundbüro überlassen. Ob diese Geschichte allerdings damit ein Ende findet, darf bezweifelt werden. Denn meldet sich der Besitzer nicht, wovon auszugehen ist, wird das Teil entweder versteigert oder geht spätestens nach einem halben Jahr wieder an den Finder zurück. Also ans Rathaus und vielleicht sogar an Schiller selbst. Und dann stellt sich die Frage, was dann damit geschieht? Wegwerfen? Soll ja befreiend wirken.

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Quelle:
SZ vom 20.11.2019
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