Süddeutsche Zeitung

Mitten im Paradies:Hüllenlos in den See

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Früh morgens bei Possenhofen treffen sich die FKK-Anhänger

Kolumne Von Peter Haacke

Freikörperkultur - kurz FKK - hat Tradition in Deutschland. Schon 1898 entstand der erste FKK-Verein in Essen, in den Siebzigerjahren erlebte die Bewegung einen wahren Boom, allerdings nicht in Bayern. Abgesehen von Uschi Obermeier, Rainer Langhans und einigen anderen Kommunarden, die sich allerlei Zwänge und ihres Schamgefühls gelegentlich durch Nacktheit entledigten, war FKK im überwiegend als prüde geltenden Oberbayern bis 2013 allerdings nur eine seltene Randerscheinung. Öffentlich zelebrierte Textilfreiheit vollzog sich bestenfalls in verruchten Gegenden, etwa im Englischen Garten, am Flaucher, auf der Kinoleinwand oder am Ostufer des Starnberger Sees. Im Gegensatz zur DDR, wo FKK als klassenlos beglückende Errungenschaft des real existierenden Sozialismus galt, frönte man dem hüllenlosen Badevergnügen in Deutschlands Süden überwiegend völlig unpolitisch und privat im Verborgenen.

Aus gutem Grund: Unmissverständlich hieß es in der bayerische Badeverordnung: "Wer an öffentlichen Plätzen badet, muss Badekleidung tragen." Doch dann kam das Aus für die Verordnung, und die Presse sah am Boulevardhimmel bereits die "Sommer der Nackten" heranziehen. Nacktbaden im sittenstrengen Freistaat war ja fortan nicht mehr grundsätzlich verboten. Zwar dürfen Bayerns Kommunen selbst entscheiden, was sie erlauben oder verbieten wollen. Doch im Landkreis Starnberg hat bislang weder das Landratsamt noch irgendeine Gemeinde eine entsprechende Satzung erlassen. Zumal Invasionen hüllenloser Sonnenanbeter und Nudisten bislang ausblieben. Badegäste müssen lediglich alles vermeiden, was "gegen die guten Sitten verstößt" - was immer das heißen mag.

Doch es gibt sie wohl, die Nacktbader - etwa im Possenhofener "Paradies". Bei Sonnenaufgang steigen sie ins Wasser, so wird erzählt, wie der Herrgott sie schuf: Nackedei, Nackedei, keiner findet was dabei. Die meisten von ihnen dürften die wilden Sechzigerjahre selbst miterlebt haben. Und wer weiß: Manch einer denkt beim Bad womöglich an Uschi Obermeier. Oder wenigstens an Rainer Langhans.

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Quelle:
SZ vom 24.08.2018
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