Süddeutsche Zeitung

Malerei:Kostbarkeiten aus dem Müll

Lesezeit: 2 min

Anneke Våge zeigt in Seeshaupt ihre Materialbilder

Von Katja Sebald, Seeshaupt

Als Frau müsse man bei der Berufsausübung flexibel sein, findet Anneke Våge. Über einige Umwege kam die 1960 geborene Hamburgerin zur Malerei und wurde schließlich zur Bildgestalterin. Mit "Relikte und Spuren" hat sie ihre aktuelle Ausstellung in der Seeresidenz Alte Post in Seeshaupt überschrieben.

Anneke Våge studierte Industriedesign an der Hochschule für bildende Künste in Hamburg, außerdem an der Parsons School of Design in New York und an der Academy of Art in San Francisco. In Frankreich und Schweden arbeitete sie als Produktdesignerin. Sie ist mit einem Norweger verheiratet und lebt in Icking. Einige Jahre leitete sie eine Malschule für Kinder, jetzt arbeitet sie wieder als Designerin und hat auch in ihrer künstlerischen Arbeit die Malerei weitgehend hinter sich gelassen: Die Motive für ihre Bilder findet sie auf Reisen oder auch einfach auf Spaziergängen. Die Maserung von verschiedenen Holzbrettern und die Struktur eines Untergrunds aus zerbrochenen Ziegeln, von einer Rolle Stacheldraht oder von einem verbogenen Maschendrahtzaun überträgt sie direkt vor Ort als Frottagen auf den Malgrund, der zumeist ein relativ dünner Stoff ist.

Fundstücke, die sich nicht abpausen lassen, werden zuweilen direkt auf das Bild aufgebracht: uralte handgeschmiedete Nägel oder die Glieder einer rostigen Kette. Verwendet sie dünne Holzplatten als Bildgrund, werden auch die Formen von Metallstücken oder grobe Stoffstrukturen mittels Abklatschverfahren übertragen.

Sie habe eine Vorliebe für schöne Materialien und für Dinge, die eine Geschichte mitbringen, sagt Anneke Våge. Und so ist aus der Malerin eine Spurensucherin geworden. Relikte und Spuren menschlichen Lebens, an denen andere vielleicht einfach vorübergehen würden, wecken ihr Interesse: Weggeworfenes oder Liegengelassenes mit deutlichen Spuren von Gebrauch und Verfall. Einmal eingefangen, werden diese Dinge zu Protagonisten in neuen Geschichten: Aus dem Stück Holz, das sie mehrmals auf den weißen Stoff übertragen hat, wird durch Hinzufügen einiger weniger Linien ein luftiger Flugdrachen, aus den zerbrochenen Ziegeln auf einem Waldweg ein riesenhaftes Reptil und aus ein paar Kreisen eine Formation von Seifenblasen. Våge nimmt den Betrachter mit auf ihre eigenen Assoziationsreisen, sie entführt ihn in ihre eigenwilligen Material-Landschaften und zeigt ihm ihre Kostbarkeiten aus dem Müll, in denen sie eine ganz neue Schönheit jenseits von Perfektion und Funktionalität entdeckt hat.

Die so entstandenen Arbeiten sind von einer zurückhaltenden Ästhetik in Schwarz, Grau und Weiß, ergänzt nur durch äußerst sparsam gesetzte Farbakzente. Es wäre eine geradezu kühne Ausstellung geworden, würde sie nicht durch eine Reihe älterer Arbeiten "aufgelockert". Die ältesten Arbeiten stammen aus den Jahren 2005 und 2006. Sie zeigen eine völlig ändere Arbeitsweise: Damals malte die Künstlerin Blüten und Gräser, Autos und Straßenszenen nach Fotovorlagen, die sie farbig im großen Format umsetzte. Auch Figürliches, Porträts und Landschaften sind dabei. Diese belanglos dekorativen Bilder schmälern den Gesamteindruck leider deutlich.

Die Ausstellung "Relikte und Spuren" von Anneke Våge ist bis zum 11. Mai in den Galeriegängen der Seeresidenz Alte Post in Seeshaupt zu sehen.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4386060
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 28.03.2019
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.