Süddeutsche Zeitung

Literatur:Mein Leben als Kuh

Lesezeit: 4 min

Kinderbuchillustratorin Susanne Leontine Schmidt hat 2018 mit "Das letzte Hemd" eine der fantastischsten Geschichten geschrieben, die bisher für den Undine-Literaturwettbewerb eingereicht worden sind.

Die SZ stellt Autorinnen und Autoren vor, die den Undine-Literaturpreis gewonnen haben oder mit ihren Texten in dem Sammelband "Das Beste aus Starnberger Federn" vertreten sind. Der Herausgeber der "Starnberger Hefte", der frühere Deutschlehrer Ernst Quester, und der Geschäftsführer der Starnberger "Bücherjolle", Wolfgang Bartelmann, haben den Wettbewerb 2014 begründet. Inzwischen läuft die vierte Ausschreibung. Einsendeschluss ist der 30. September 2022. Weitere Infos unter https://buecherjolle-shop.buchkatalog.de/Veranstaltungen.

Das Leben als Kuh hätte schon was. Ja, die Fliegen sind verdammt lästig und die Entfaltungsmöglichkeiten klein. Aber andererseits: diese Ruhe, die Mozartsonaten beim Melken, die mit Grasen und Wiederkäuen ausgefüllten Tage, das Zurück zur Natur. Nur mal angenommen, es wäre Menschen vergönnt, für eine Woche mit Rindviechern zu tauschen - womöglich gäbe es längst schon Kuhkurse für megagestresste Manager.

Susanne Leontine Schmidt hat diese verträumt surreale Idee in eine wunderbare Geschichte verwandelt. In "Das letzte Hemd" lässt sich ein Mann, der auf ganzer Linie gescheitert ist und sein letztes Hab und Gut versilbern muss, ein zerschlissenes und verschmutztes Hemd, mit einer sprechenden Kuh auf einen Deal ein: Er streift sich ihre Kuhhaut über, die ihm überraschend gut passt, und geht für ein Jahr auf die Weide, sie zieht sein letztes Hemd an und versucht ihr Glück in Menschengestalt. Nach der vereinbarten Zeit treffen sie sich am Weidezaun: Er ist tiefenentspannt, sie hat einen vielversprechenden Job ergattert. Von Rücktausch redet keiner mehr.

Schmidt mag Kühe: Sie strahlen "so einen Frieden aus", sagt die Kinderbuchillustratorin

Schmidt hat ihren Text 2018 zum Starnberger Literaturwettbewerb Undine eingereicht, das Motto damals lautete "Vorher - nachher". Sie gewann damit den zweiten Preis. "Das letzte Hemd" ist auch im Undine-Sammelband "Das Beste aus Starnberger Federn" vertreten - die wohl schönste der dort versammelten zehn Geschichten. Allein schon deshalb, weil die Kurzgeschichte kein einziges Wort zu viel hat und Schmidts Sprache raffiniert und bildhaft ist. Wie sie überhaupt auf die Idee mit dem Tausch kam? Erstens lebe sie auf dem Land und möge Kühe sehr gerne, sie strahlten "so einen Frieden aus", sagt die Kinderbuchillustratorin und Autorin aus Utting am Ammersee. Zweitens sei ihr ein Shakespeare-Zitat aus einer Biografie von Eric Malpass in den Sinn gekommen, die sie als Kind gelesen habe: "Mich dünkt, es wär ein glücklich Leben, nichts Höheres als ein schlichter Hirt zu sein". Und drittens gebe es nun mal Menschen, die mit dem modernen Leben einfach nicht zurecht kämen, "obwohl sie so viel können".

Die 59-Jährige betreibt in Finning eine Mal- und Zeichenschule und gehört zu den Autoren der Herrschinger Schreibwerkstatt. Derzeit absolviert sie eine Ausbildung als Geschichtenerzählerin. Es mache ihr großen Spaß, bei Geburtstagen oder anderen Festen Märchen komplett frei und in eigenen Formulierungen wiederzugeben. "Ich bin eine kleine Rampensau", sagt sie zu ihrem Hang zur Bühne. Schmidt hat auch schon Kinderbücher verfasst und illustriert. Aus ihre Feder stammt zum Beispiel "Gespensterjagd bei Oma Hata", ein Dauerverkaufsschlager. Ende dieses Jahres kommt voraussichtlich ein neues Kinderbuch von ihr auf den Markt: "Eine Giraffe namens Rosi", so der Arbeitstitel, dreht sich um zwei ungleiche Freundinnen, hässliche Vornamen, Mobbing in der Schule und den Kruger-Nationalpark in Südafrika, den letzten Platz, wo Giraffen wie Rosi noch sicher leben könnten. Nebenbei schreibt Susanne Leontine Schmidt Kurzgeschichten, auch zur Literaturzeitschrift "Starnberger Hefte" will sie bald wieder einen Text beisteuern. "Ideen hab' ich wahnsinnig viele", sagt sie, "das geht halt manchmal unter im turbulenten Alltag". Durch die Pandemie sei es nämlich zu einem regelrechten Ansturm auf ihre Malschule gekommen. "Ich habe schon erlebt, wie manche Kinder aufgeblüht sind - das begeistert mich an dieser Arbeit."

"Das letzte Hemd" - ein Auszug aus der Kurzgeschichte von Susanne Leontine Schmidt

"Na, was gibt's, Kuh?" sagte ich, in einem Tonfall von jemandem, der genau weiß, das sein Gegenüber nichts von dem versteht, was er sagt, etwa wie man mit einer Fliege redet, die einem lästig fällt. "Ich beobachte Sie schon eine ganze Zeit", erwiderte die Kuh nach einer kurzen Pause, in der sie mich intensiv musterte. "Haben Sie Sorgen? Probleme?" Zunächst saß ich sprachlos und mit vermutlich nicht gerade intelligentem Gesichtsausdruck da. Doch dann fasste ich mich und kam zu dem Schluss, dass ich mich schließlich auch einfach mit der Kuh unterhalten konnte - warum denn nicht? Sie hatte nichts Schreckenerregendes an sich, und ihre braunen Augen blickten sanft und fast warmherzig.

Also schilderte ich ihr meine Not. Sie hörte sich alles gleichmütig wiederkäuend an, während ihr Schweif scheinbar völlig unabhängig von ihr in ständiger Bewegung war, um die Fliegen von ihren Flanken zu verjagen. Als ich fertig war mit meiner Geschichte entstand eine so lange Pause, dass ich schon glaubte, ich hätte mir alles nur eingebildet und wäre wohl drauf und dran, meinen Verstand zu verlieren.

Doch dann räusperte sich die Kuh und sagte: "Haben Sie mal über einen Tausch nachgedacht?" "Wie - Tausch", erwiderte ich verwirrt "mit was tauschen?" "Na, mit mir!" sagte sie freundlich und als wäre es das Selbstverständlichste der Welt. "Ich habe mein Kuhleben ein bisschen satt... es ist doch recht eintönig auf die Dauer, nur Fressen, Wiederkäuen, gemolken werden, Schlafen. Es bietet mir wenig Entfaltungsmöglichkeiten.... Allerdings ist es wirklich sehr geruhsam, und es kommt mir so vor, als ob Sie ein wenig Ruhe brauchen könnten. Der Bauer ist auch sehr nett, über die Behandlung kann ich nicht klagen: Beim Melken hören wir Klaviersonaten von Mozart... Nun, um auf den Punkt zu kommen: Ihr letztes Hemd gegen meine Kuhhaut! Das wäre mein Angebot!"

Jedoch: für immer Kuh - das ging mir dann doch zu weit."Wie wäre es mit einem Tausch für ein Jahr?", schlug ich vor. "Einverstanden!" Sie reichte mir ihren rechten Vorderhuf, und wir schüttelten uns herzlich die Hände. Nachdem so etwas wie eine Umkleidekabine nicht vorhanden war, stieg ich über den Weidezaun, und wir gingen zusammen zu der Baumgruppe. "Sie müssen wegschauen!", sagte die Kuh, und ich reichte ihr nach einer Weile, während derer sie sich von ihrer Kuhhaut befreite, mein letztes Hemd hin, ohne den Blick zu wenden. Dann schlüpfte ich in die Kuhhaut, die mir überraschend gut passte, ich hatte befürchtet, sie könnte mehr Falten schlagen. Ungewohnt waren die Hörner.

Mein letztes Hemd passte der Kuh auch nicht schlecht. Ihr Gesichtsausdruck war allerdings noch ein wenig, naja, kuhäugig.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5635716
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.