Süddeutsche Zeitung

SZ-Serie S(ee)aisonarbeiter:Der Handwerker-Kapitän

Lesezeit: 2 min

Unter dem Jahr steht Helmut Diller am Steuerrad eines Ammerseedampfers, im Winter bereiten er und seine Kollegen in der Schifffahrtswerkstatt alles für die neue Saison vor. Zu Besuch an einem Ort, wo man schon jetzt Sommergefühle hat.

Von Christina Rebhahn-Roither, Inning

Sonnenstrahlen, die auf der Nasenspitze kitzeln, Fahrtwind, der einem um die Ohren weht, dicke Taue, die eingeholt werden, dazu die vorbeiziehende Seelandschaft. Das ist es wohl, was die meisten Menschen gemeinhin mit einer Seenschifffahrt verbinden. Doch was geschieht eigentlich, nachdem das Saisonende verkündet wurde? Fällt zum Beispiel die Schiffsflotte der Bayerischen Seenschifffahrt in der Winterpause in einen tiefen Dornröschenschlaf? Von wegen!

Am Ammersee wird in den Wintermonaten fleißig gearbeitet - in einer Werkstatt am See, aber auch direkt an den Schiffen. Insgesamt seien in der Werkstatt aktuell 16 Menschen beschäftigt, erzählt Helmut Diller, der auch gerade hier arbeitet und gelernter Schmied ist. Holzverarbeitung und Malerarbeiten finden statt, auch in den Bereichen Metall und Elektronik wird gewerkelt. Sie hätten hier "den ganzen Winter zu tun", sagt Diller. In den Sommermonaten wird mitnotiert, was in der Winterpause erledigt werden soll.

Im Winter ruht die Seenschifffahrt - nicht allerdings in der Werkstatt. Dort gibt es einiges zu tun:

Die Utting im Tockendeck wartet auf die TÜV-Abnahme.

Neue Farbe und Lack gibt es für die Sitzbänke.

Diller führt bei einem Besuch im Dezember am Ammersee herum und zeigt, welche Wartungs- und Reparaturarbeiten gerade gemacht werden. Er selbst zerteilt in der Werkstatt ein Alurohr. Mit angeschweißten Aluplatten soll damit später die Radaranlage auf einem Arbeitsschiff geschützt werden. In blauer Latzhose und Hemd erklärt Diller geduldig, was in der Werkstatt vor sich geht. Da stehen Bänke der MS Utting, die repariert und dann lackiert wurden, wenn nötig. Der Geruch der Farbe liegt noch in der Luft. Ein paar Schritte weiter ist eine Schublade in den Schraubstock eingespannt. Und wer sich weiter umsieht, entdeckt zum Beispiel auch noch einen Türrahmen. Außerdem verbogene Stegteile, die entweder gerade gebogen oder neu gebaut werden müssen.

Auch für die Arbeiten an den Stegen bereiten sich die Handwerker in der Werkstatt vor. Neue Pfähle liegen schon im Freien vor dem Gebäude bereit, angespitzt und sechs bis zwölf Meter lang. Diller erklärt, wie es mit ihnen weitergehen wird: Die Pfähle werden zunächst auf ein Arbeitsschiff verladen, ein zweites Arbeitsschiff schiebt die Ladung dann an. Danach werden die Holzpfähle mit einem Hammer, der mit Diesel betrieben wird, an der richtigen Stelle eingeschlagen.

In der Werkstatt kümmern sich Helmut Diller...

... und seine Kollegen darum, dass von der Sitzbank bis zur...

... Abdeckplane fürs Rettungsboot alles für die neue Saison hergerichtet wird.

Tritt man aus der Werkstatt heraus, blickt man direkt auf die MS Utting, die seit Anfang November im Trockendock steht. Ein bisschen sieht es aus, als sei das Schiff hier kerzengerade gestrandet. Dabei ist der Vorgang kein Zaubertrick und schnell erklärt: Vom offenen See her fährt das Schiff zuerst in die Anlegestelle hinein wie in einen Parkplatz. Als solcher wird das Dock (im gefluteten Zustand) im Sommer übrigens auch genutzt. Ist das Schiff angekommen, kann die Vorrichtung abgeriegelt und das Wasser abgepumpt werden. Am Ende steht das große Schiff nun, ohne von Wasser umgeben zu sein, auf Klötzen im Trockendock.

An der Außenwand wurde die MS Utting schon von Algen und Bewuchs gereinigt. In den kommenden Wochen sei auch eine TÜV-Überprüfung angedacht, die regelmäßig gemacht werden muss, heißt es von Seiten der Ammersee-Schifffahrt. Weitere Ausbesserungsarbeiten am Rumpf folgen dann nach dieser Prüfung, erklärt Diller.

Im Innenraum der MS Utting hat derweil Bertl Leitner alles ausgebreitet, was es braucht, um beschädigte Planen und Abdeckungen zu reparieren. An einer Pfaff-Nähmaschine sitzend sagt der Segelmacher und Bootssattler: "Noch eine Naht, dann wäre das repariert." Die Nähmaschine rattert, bewegt die Nadel auf und ab, und schon ist für den Schaufelraddampfer RMS Dießen die Bootsabdeckung des Beiboots, die bei einem Sturm kaputt gegangen ist, geflickt.

Wenn irgendwann im Frühjahr die warme Jahreszeit im Fünfseenland Einzug halten wird, werde hier in der Werkstatt am Ammersee wieder wenig los sein, wirft Diller einen Blick in die Zukunft. Alle, die hier Vorbereitungen für die kommende Saison treffen, sind dann auf den Schiffen beschäftigt. Auch Helmut Diller hat, wenn es "Leinen los!" heißt, wieder einen anderen Job. Er ist dann Kapitän.

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Quelle:
SZ vom 10.01.2022
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