Süddeutsche Zeitung

Herrschinger Silberweide:Der Baum ist tot, es lebe der Baum

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Die mehr als 100 Jahre alte Silberweide am Herrschinger Seeufer ist Vergangenheit. Damit mit ihr nicht auch die Erinnerungen untergehen, sollen die Bürger alte Fotos und Texte ins Rathaus bringen - möglicherweise reicht es zu einer Ausstellung

Von Christiane Bracht, Herrsching

Die einen denken an ihre Kindheit und an erste Kletterversuche, wenn sie sich an die gewaltige Silberweide erinnern, die weit über 100 Jahre an der Herrschinger Seepromenade stand. Andere erinnern sich mit Wehmut an ihre erste Liebe, den ersten Kuss und wunderbar romantische Momente. Während wieder anderen in schweren Stunden Trost am knorrigen Baum fanden. Manch einer vertraute sogar seine geheimsten Wünsche der Rinde an. Es gibt kaum einen Herrschinger, der nichts mit der bemerkenswerten Weide verbindet. Ganze Generationen waren hier, sind auf dem Baum fotografiert worden oder haben auf dem dicken liegenden Ast gesessen, um auf den See hinauszuschauen - bei Regen, Wind und Sonnenschein, ja sogar im Schnee. Umso enttäuschter und trauriger sind die Leute jetzt. Vergangenen Samstag war, wie berichtet, ein dicker Ast heruntergekracht. Ein Experte untersuchte die alte Silberweide sofort, sah, dass die Fäulnis trotz aller Erhaltungsmaßnahmen inzwischen soweit um sich gegriffen hatte, dass der Stamm teilweise sogar hohl war. Aus Sicherheitsgründen entschied man sich, sofort zu fällen. Seither steht nur noch der etwa fünf Meter hohe Torso, drumherum liegen ein paar Äste.

Angesichts der vielen Reaktionen im Ort auf das kaputte Naturdenkmal hat Bürgermeister Christian Schiller nun einen Aufruf gestartet. Jeder kann jetzt ein Foto von der alten Silberweide und seine Geschichte dazu ins Rathaus bringen. Schiller stellt sich vor, wenn genügend schöne Bilder und Texte dazu eingehen, vielleicht ein Buch herauszugeben oder aber eine kleine Ausstellung zu konzipieren, "um den Geist der Weide am Leben zu halten". Schließlich war dieser stattliche Baum ein beliebtes Fotomotiv. Auch er selbst hat es geliebt. "Aber leider habe ich kein Bild, auf dem der Baum ganz drauf ist", klagt er. Übrigens: Auch der Rathauschef erinnert sich an seine Kindheit, wenn er die Silberweide sieht. "Meine Eltern konnten nicht schwimmen und wenn ich ins Wasser gehen wollte, durfte ich das nur an dem Baum und Frau Borchmann hat dort aufgepasst. Ich durfte mich auch nicht wegbewegen", erzählt er. Natürlich ist Schiller auch mit Freunden den Stamm hochgeklettert, wie alle. Kein Wunder also, dass er sich ebenso wie seine Vorgänger sehr für den Erhalt der Silberweide eingesetzt hat. In den vergangenen 15 Jahren hat die Gemeinde Herrsching um die 100 000 Euro für die Sanierung ausgegeben. Auch viele Privatleute spendeten dafür. So wurden Äste und Stamm immer wieder abgestützt und verstrebt, die Krone gekürzt und faule Stellen herausgeschnitten, um das Gewicht gleichmäßig zu verteilen.

Gepflanzt hat den zuletzt mehr als 20 Meter hohen Baum übrigens der "Kracherl"-Fabrikant Gebhard. Das war im Jahr 1904, als die Bahn nach Herrsching kam. Gebhard war der erste Landschaftsgärtner der Region. Seine Besonderheit: Er setzte immer fünf Bäumchen zusammen. Wenn diese durchkamen und wuchsen, drängten sie auseinander. Dadurch ergaben sich außergewöhnliche Formen, wie man bei der Silberweide am Badesteg sehen konnte. Er machte dies aber auch mit Ahornen und Pappeln.

Silberweiden werden übrigens nur selten älter als 100 Jahre. So gesehen ist der stattliche Herrschinger Riese unglaublich alt geworden. Der Baumfachmann hat nun einen gut erhaltenen Ast ins Wasser gelegt und hofft, dass dieser Wurzeln schlägt. Wenn sich daraus etwas entwickelt, möchte Schiller, dass der Ableger gleich neben dem alten Stamm eingepflanzt wird. Denn jetzt wirkt das Ufer an der Stelle nackt.

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SZ vom 02.07.2016
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