Süddeutsche Zeitung

Herrsching:Proteste gegen die Bahn

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Seit dem Umbau des Herrschinger Bahnhofs fahren die S-Bahnen schneller über die Gleise in Richtung München als früher - mit bösen Folgen für die Anwohner. Sie leiden unter dem weitaus höheren Lärmpegel

Von Patrizia Steipe, Herrsching

Die Ampel an der Bahnüberquerung Rieder Straße schaltet auf Rot, die Schranke senkt sich. Auf diesen Moment haben die Anwohner gewartet. Männer, Frauen und Kinder stellen sich vor die Schranke und entfalten ein Transparent. Unter dem S-Bahn-Zeichen steht in großen Lettern "zu schnell und viel zu laut". Eine Autofahrerin erkundigt sich besorgt, ob die Bürger die Straße komplett gesperrt haben, doch eine Streikblockade ist nicht geplant. "Wir wollen nicht mehr, als dass die Bahn so schnell wie früher aus dem Bahnhof fährt", versichert Karin Belgardt.

Was sie damit meint, bekommen die Pressevertreter, die zu diesem Termin geladen wurden, eindrucksvoll präsentiert. Mit großer Geschwindigkeit und ziemlich laut rauscht die S-Bahn vorbei Richtung München. Fotos von der Demonstration werden geschossen. Anschließend geben die Bürger die Straße wieder frei. Seitdem im Herbst der barrierefreie Bahnhof in Herrsching fertig geworden ist, müssen die Anwohner entlang des Bahngleises mit einer höheren Lärmbelastung leben. "Früher sind die Züge mit 50 Stundenkilometern aus dem Bahnhof gefahren, heute sind es 90", erklärt Manfred Feyrer, der am Bahngleis Wohnung und Geschäft hat. Bürgermeister Christian Schiller hat eine Liste mit 60 Unterschriften der Anwohner an die Bahn weitergeleitet und um Stellungnahme gebeten. Vor einigen Tagen ist ein Antwortschreiben gekommen. Der Grund für die höhere Geschwindigkeit sei, dass die Züge auf Gleis 1 keine Weiche mehr passieren müssen. "Ein ausfahrender Zug kann ohne Hindernisse beschleunigen", schreibt Bernhard Weisser von der DB Bahn. Die Geschwindigkeit sei für das Einhalten des Fahrplans und die Pünktlichkeit entscheidend. "Daher können wir leider an dieser Stelle nicht davon abweichen".

Mit dieser Antwort wollten sich die Bürger nicht zufrieden geben. Bei der Protestaktion schildern sie den Alltag neben den Gleisen: Wenn eine S-Bahn vorbeifahre, würde das Wasser in den Trinkgläsern vibrieren und das Geschirr im Schrank klirren, sagt Feyrer. Im Herbst habe er eine Lärmmessung veranlasst. "Es wurden 93 Dezibel gemessen. Das ist lauter als ein Lastwagen." Mark Stevens ist mit seiner kleinen Tochter zum Bahnhof gekommen. Seitdem es so laut geworden ist, könnten seine drei Kinder schlechter einschlafen und wachten oft auf. Auch Dolores Jäger schläft schlecht. Sie wohnt in einer Wohnanlage am Stürmerweg. Da sich Schall nach oben ausbreitet, ist sie im zweiten Stock besonders betroffen. Fenster öffnet sie schon lange nicht mehr. Familie Böger bewohnt das letzte Haus an der Bahnstrecke. "Extreme Angst" habe die dreijährige Tochter vor dem S-Bahnlärm, berichtet die Mutter. "Wie soll es nur im Sommer werden?", lautet die bange Frage der Anwohner. Sie fürchten, dass sie ihre Terrassen nicht mehr nützen können und ihre Immobilien an Wert verlieren.

Immerhin kann Bürgermeister Schiller den Bürgern Hoffnung machen. Am Vormittag habe ihm die Bahn mitgeteilt, dass sie den "betroffenen Bereich einer Sonderprüfung" unterziehen werde. "Nach ersten Erkenntnissen könnte ein Schienenstoß oder eine Weiche die Ursache für den erhöhten Lärmpegel sein", schreibt Arnold Vitez vom DB-Netz-Bayern-Team. In seiner Mail versprach er: "Wir werden geeignete Maßnahmen treffen, um den Lärmpegel soweit wie möglich zu reduzieren."

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Quelle:
SZ vom 25.02.2016
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