Süddeutsche Zeitung

Heiliger Berg:Gemeinsam zur Krippe

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Seit 43 Jahren stellen Andechser die Geburt Jesu mit echten Darstellern und lebendigen Tieren dar. Zum Mitmachen muss keiner überredet werden

Von Christoph Koopmann, Andechs

Hier, am Fuße des Klosters Andechs, ist die weihnachtliche Welt noch in Ordnung. Schnee liegt zwar am zweiten Adventswochenende keiner. Dafür glitzert und funkelt es an allen Ecken, der Duft von Glühwein und Bratwürsten zieht über den Heiligen Berg. Gegenüber den Ständen des alljährlichen Christkindlmarkts stehen Maria und Josef und präsentieren Dutzenden Neugierigen das Jesuskind. Das ist zwar eine Puppe. Doch der Rest der Krippe ist lebendig, mit echten Hirten, den Heiligen Drei Königen, ihren Begleitern. Auch Ochs, Esel und Schafe sind echt. So ist es seit nunmehr 43 Jahren Tradition in Andechs.

Nicht ganz so lang ist Christian Pfänder dabei, er ist schließlich erst 22 Jahre alt. Aber seit immerhin sechs Jahren spielt er den Caspar an der Seite zweier Freunde aus dem Erlinger Burschenverein, die Melchior und Balthasar geben. Mit andächtiger Miene schreiten er und die anderen Könige am Freitagmittag zur Krippe. Auch der Weihrauch, den Caspar dem Jesuskind mitbringt, ist echt.

"Der Christkindlmarkt und die Krippe gehören einfach zum Ort dazu", sagt Pfänder. Und da sei es selbstverständlich, dass jeder seinen Teil beiträgt. Sein Vater habe einst geholfen, den Stall für das adventliche Schauspiel herzurichten. "Der eine brät die Würstl, der andere betreut einen Stand. So läuft das hier", sagt Pfänder. Und er sei eben der Caspar in der Krippe. Gemeinschaft verpflichtet. Deshalb bleiben Pfänder und andere, die schon als Kinder oder Jugendliche bei der "lebendigen Krippe" angefangen haben, so lange dabei. Auch wenn es nicht immer einfach ist, jetzt, da viele von ihnen arbeiten oder studieren. Deshalb gibt es noch einen vierten König, als Auswechselspieler sozusagen.

So gibt es auch zwei Josefs, die sich abwechseln. Die Maria wird gar von drei verschiedenen Darstellerinnen gespielt. Christina Schölderle, 16, stellt die Gottesmutter zum zweiten Mal dar. Davor spielte sie jahrelang eine von Marias Begleiterinnen. In der Kälte stillzuhalten, sei zwar manchmal anstrengend, sagt sie. "Aber ich kann im Gegensatz zu den anderen wenigstens sitzen" - auf einem Heizkissen. Christina Schölderle und die anderen beiden Marias teilen sich insgesamt 13 Schichten von Freitagmittag bis Sonntagabend, sodass keine allzu lang ausharren muss.

"Hier unterstützt man sich eben", sagt Sylvia Essig. Sie organisiert den Christkindlmarkt - und damit auch die Krippe - vonseiten der Gemeinde Andechs. "Ich muss keinen groß um Hilfe fragen, die kommen schon von sich aus", sagt Essig. Die Machtlfinger Feuerwehr hilft beim Aufbau, den Esel für die Krippe bringt ein Landwirt aus Herrsching und die Kinder von der Carl-Orff-Grundschule in Erling singen und musizieren zur Eröffnung des Markts am Freitagmittag vor sicher mehr als Hundert Besuchern.

"Für alle hier ist die Krippe eine lieb gewonnene Tradition", sagt Sylvia Essig. Die will man auch bewahren, nachdem Benediktinermönch Frater Stefan Janker, der einst die Idee für die lebendige Krippe hatte, im August verstorben ist. In Andechs beteuert man, dass sie damals die ersten gewesen seien, die eine Krippe mit lebendigen Tieren und echten Menschen hatten. Beweisen lässt sich das nicht, aber in Andechs sind sie stolz auf ihre Krippe. Die wollen sie sich auch nicht nehmen lassen. Dabei bemängelt etwa die Tierschutzorganisation seit Jahren, dass Ochsen, Eseln und Schafen der wenige Platz und die vielen Menschen schadeten. "Die Landwirte kümmern sich gut um ihre Tiere", versichert Sylvia Essig von der Gemeinde. "Wenn eines sich merklich unwohl fühlen sollte, dann nehmen wir es aus der Krippe."

Auch eine weitere Debatte, die andernorts aufflammt, scheint am Heiligen Berg vorbeizuziehen: Christian Pfänder bemalt sich für alle 13 Krippen-Auftritte als Caspar das Gesicht schwarz. In den Niederlanden etwa wird die Darstellung des Nikolaus-Gehilfen "Zwarte Piet" (Schwarzer Peter) durch einen Weißen mit dunkel geschminktem Gesicht als rassistisches "Blackfacing" kritisiert. "Klar, es ist ein heikles Thema", sagt Pfänder. "Ich würde mir wirklich Gedanken machen, sollte jemand sagen, dass ihn das verletzt." Bislang habe sich jedoch niemand darüber beschwert. Auch am Freitag scheint sich niemand am Caspar zu stören.

So wird in Andechs wohl auch im kommenden Jahr alles bleiben, wie es schon seit 43 Jahren ist. Auch die Darsteller sagen schon nach ihrem ersten von 13 Auftritten am Wochenende unisono, dass sie 2020 wieder dabei sein wollen, vom achtzigjährigen Hirten bis zu den drei Begleitern der Weisen aus dem Morgenland - die gehen noch in die Grundschule. Eine mögliche Thronfolgeregelung gäbe es damit jedenfalls, sollten Christian Pfänder und die beiden anderen Könige irgendwann einmal abdanken.

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SZ vom 09.12.2019
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