Süddeutsche Zeitung

Gilching:Weg vom Defizitdenken

Lesezeit: 2 min

Im Rotkreuzhaus in Gilching leben alte Menschen in Gemeinschaften

Von Patrizia Steipe, Gilching

"So viele Männer und einer schöner als der andere", begrüßte eine betagte Bewohnerin des Rotkreuzhauses die Delegation. Landrat Karl Roth, Bürgermeister Manfred Walter und die Vertreter des Bayerischen Roten Kreuzes waren bei ihrem Rundgang anlässlich der feierlichen Eröffnung des Hauses von der munteren Tischrunde freundlich empfangen worden. Es war eine der sechs Hausgemeinschaften, in denen bis zu 13 Bewohner ein neues Zuhause gefunden haben. Im nächsten Raum sangen die alten Menschen Volkslieder. Auch im Garten mit seinen Hochbeeten, die mit Hilfe der Bewohner bepflanzt worden waren, hatte sich eine Gruppe um einen Tisch versammelt. Erinnerungen an frühere Zeiten wurden gemeinsam mit einer Betreuerin ausgetauscht.

"Das Rotkreuzhaus Gilching - Pflege in Hausgemeinschaften hat erstmalig im Landkreis das familiennahe Hausgemeinschaftskonzept umgesetzt", freute sich Stellvertretender BRK-Vorsitzender Albert Luppart in seiner Ansprache. Das Konzept erläuterte die ehemalige Sozialministerin und BRK-Bezirksvorsitzende Christa Stewens. Zugrunde liege ein "Sichtwechsel". Dabei werden die Kompetenzen der älteren Leute in den Mittelpunkt gestellt, "weg von dem Defizitdenken, was sie nicht mehr können". Nicht die Pflege bestimmt den Alltag. Durch die Aufteilung in Hausgemeinschaften, die je nach Können und Wollen auch gemeinsam Essen und Kochen, können die individuellen Bedürfnisse der Bewohner besser berücksichtigt werden. Auf einer Leinwand sah man Bilder vom Alltag im neuen Rotkreuzhaus.

Vor etwa einem halben Jahr sind die ersten Bewohner in das Pflegeheim an der Andechser Straße eingezogen. Für Pfarrerin Dorothea Bezzel ist der zentrale Standort mitten im Ort auch ein Symbol dafür, "dass Altsein genau so zu Gilching gehört" wie die vielen jungen Familien. Hell und freundlich sind die Räume. Es gibt Einzelzimmer. Ehepaare bekommen ebenfalls einzelne Zimmer, teilen sich aber ein gemeinsames Badezimmer. In zwei Wohngruppen leben an Demenz erkrankte Menschen. Wenn eine gerichtliche Genehmigung vorliegt, dann bekommen orientierungslose Menschen ein Transponderarmband. Falls die Betroffenen sich verirren, können sie so geortet werden.

Bei der Ökumenischen Andacht erinnerten Pfarrer Franz von Lüninck und seine evangelische Kollegin an die aufopferungsvolle Arbeit der Pflegekräfte, die "oft an die Grenze der Belastbarkeit gehen". Lüninck lobte die in der Altenarbeit Beschäftigten, "sie wissen, worum es geht - dass man einander gut ist". Zufrieden mit der neuen Einrichtung zeigte sich Bürgermeister Walter. Das innovative Konzept sei ein "Mehrwert für alte Menschen, die sich oft in einem schwierigen Zustand befänden". Bei den Ansprachen gab es aber auch Kritik an den Sozialgesetzen. Der Personalschlüssel in Pflegeheimen müsse erhöht und die Berufe in der Altenpflege besser bezahlt und aufgewertet werden, "damit junge Menschen darin wirklich eine Perspektive sehen, von und mit diesen Berufen lange leben zu können", mahnte Luppart. Das sei nicht nur eine Frage der Bezahlung, sondern auch der täglichen Arbeitsbelastung. Schließlich würden in ein paar Jahren die geburtenstarken Jahrgänge in Rente gehen.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.3443461
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 31.03.2017
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.