Süddeutsche Zeitung

Freizeit im Fünfseenland:Hier planschten schon die alten Römer

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In Gauting beginnt am Freitag die Sommerbadesaison. Die Tradition der Badestätte reicht hier bis in die Antike zurück - und hatte immer auch einen wichtigen sozialen Aspekt.

Von Kathrin Kessler, Gauting

Wenn man an einem verregneten Maitag im Archiv des Gautinger Rathauses sitzt, könnte das Freibad mit seinem Kindergeschrei, Sprungbrettern und salzigen Pommes kaum ferner erscheinen. Zum kommenden Beginn der Freibadsaison aber hat sich Rathausarchivarin Regine Hilpert-Greger auf Spurensuche nach den Ursprüngen des Badens gemacht. Zwischen den Bergen an Ordnern, Karteien und Kisten zeichnet die studierte Altphilologin und Kunsthistorikerin anhand von Bildern, Skizzen und Fakten die Geschichte des Badens an der Würm nach, die mit einer römischen Therme im ersten Jahrhundert beginnt, heute im modernen Freibad Gauting fortlebt - und eine ungewisse Zukunft hat.

"Was mich am Thema Baden besonders fasziniert, ist der soziale Aspekt", sagt die Archivarin Hilpert-Greger. "Egal, ob Investmentbanker oder Bauarbeiter, beim Baden sind wir alle gleich." So wird aus ihren Forschungen klar, dass das Baden schon immer eine größere Dimension hatte als die Körperpflege: Ob in der römischen Therme, in der zwischen heißem Wasserdampf politische Geschäfte besprochen wurden, in der mittelalterlichen Badestube oder am Kiosk im Freibad: Das Bad war und ist immer auch Treffpunkt und gesellschaftlicher Schmelztiegel.

Hilpert-Greger blättert auf die nächste Seite ihrer Notizen. Zu sehen ist das Modell einer klassisch-römischen Therme, die einzelnen Teile sind mit den lateinischen Bezeichnungen beschriftet. Da gibt es das "Frigidarium", das Kältebad, oder das "Sudatorium", das Schwitzbad. Kaum zu glauben, dass es auch hier in Gauting, 690 Kilometer Luftlinie von Rom entfernt, eine solche Therme gegeben haben soll. Die Relikte der Therme wurden Mitte der 1930er-Jahre zufällig bei Bauarbeiten in der Reismühler Siedlung gefunden. Diese stammt aus einer Zeit, in der die Römer in ihren zahlreichen Provinzen kleine Militärstützpunkte entlang der wichtigen Handelsrouten errichteten.

Das heutige Gauting gehörte zur damaligen Provinz Raetia, die das nördliche Alpenvorland umfasste und sich nach Süden bis in die heutige italienische Schweiz erstreckte. "Jedes dieser römischen Nester besaß in Miniaturform dieselbe Infrastruktur wie die Hauptstadt", erklärt Hilpert-Greger. Anhand ihrer Skizzen wird deutlich: In den Thermen war mindestens genauso viel Raum für die soziale Interaktion vorgesehen wie für die Körperpflege - ein Treffpunkt, an dem Menschen unterschiedlichster gesellschaftlicher Stellung miteinander ins Gespräch kamen, sich austauschten, Geschäfte machten. Das alles passierte in der Provinz natürlich in viel kleinerem Maßstab als in Rom selbst. Aber dass die Römer sich selbst hier, in einem kleinen Örtchen nördlich der Alpen, die Mühe machten, eine Therme zu bauen, zeigt, welchen Stellenwert diese in der römischen Gesellschaft hatte.

Im Gegensatz zur Blüte von Literatur, Kunst und Wissenschaft in der Antike steht die noch immer weit verbreitete Vorstellung vom "finsteren Mittelalter": Dreckige Städte, von Krankheit geplagte Menschen und eine Kirche, die sich jedem wissenschaftlichen Fortschritt in den Weg stellt, dominieren das Bild. In der modernen Geschichtswissenschaft ist das jedoch längst relativiert. Und auch hier in Gauting gibt es historische Funde, die ein etwas differenzierteres Bild des Mittelalters und der frühen Neuzeit zeichnen.

Aus Gerichtsprotokollen aus dem 16. Jahrhundert geht hervor, dass es hier vom Mittelalter bis in die Anfänge des 20. Jahrhunderts hinein wie damals vielerorts auf dem Marktplatz eine sogenannte Badestube gegeben hat. "Der Bader war so etwas wie ein Low-Level-Arzt", sagt Hilpert-Greger. In dessen Geschäftsräumen konnte man sich waschen, aber auch kleinere medizinische Eingriffe vornehmen lassen. Dampfbaden, Zähne ziehen, Aderlass - das Rundum-Sorglos-Paket. Jeden Samstag waren die Dorfbewohner aller Schichten verpflichtet, hier ihrer Körperpflege nachzugehen - und fanden dabei einen Ort, an dem sie sich in ungezwungener Atmosphäre über die aktuellen Geschehnisse austauschen konnten.

Mit der Industrialisierung und Landflucht entwickelten sich in den Großstädten des 19. und 20. Jahrhunderts verheerende Wohn- und Arbeitsverhältnisse - so auch in München, dessen Einwohnerzahl sich zwischen 1850 und 1900 verdoppelte. Wie gut, dass das Münchner Umland schon damals so gute Naturerholung bot. So auch das Würmland, das an den Wochenenden von Münchner Tagesausflüglern belagert wurde. Schon bald hatten die Gautinger aber genug von den platt getretenen Ufern, über die im Winter das Wasser trat, und sammelten Unterschriften für die Einrichtung eines offiziellen Badeplatzes. So öffnete 1926 das erste öffentliche Bad an der Würm.

Ein Fluss aber ist natürlichen Witterungen und den Einflüssen der umliegenden Industrie und der Kanalisation ausgesetzt - so musste auch die Würm zeitweise gesperrt werden, weil sich Fäkalien, Pilze und Bakterien im Wasser tummelten. Es musste also ein Bad her, das unabhängig von äußeren Einflüssen jene Badefreude garantieren konnte, an die sich die Gautinger längst gewöhnt hatten. Und so kam es auch: 1966 wurde das Gautinger Freibad eingeweiht, sechs Jahre später trainierte dort sogar die japanische Nationalmannschaft für Olympia. "Eine Gruppe Japaner in Gauting, das war schon etwas Besonderes", erzählt Hilpert-Greger.

So ein Freibad ist für die betreibenden Kommunen aber immer eine große finanzielle Belastung. "Jedes Jahr schließen in Deutschland aus diesem Grund rund 80 Bäder", so Hilpert-Greger. Dafür, dass das Gautinger Sommerbad nicht vom selben Schicksal ereilt wird, setzt sich der Förderverein Sommerbad Gauting ein. Gemeinsam mit der Gemeinde suchen die Ehrenamtlichen nach Konzepten, mit denen der Erhalt des Bades gesichert werden kann.

Ein Ort zum Zusammenkommen, ausgelassen sein, sich bewegen - das erscheint auch heutzutage erhaltenswert. Ob man will oder nicht, beim Baden kommt man sich nah. Wenn man an einem heißen Sommerferientag in Badelatschen und Bikini am Kiosk Schlange steht und das Kind schon nach dem Eis quengelt oder man frühmorgens neben wenigen anderen Frühschwimmern seine Bahnen zieht, dann kommt man nun mal ins Gespräch. Und manchmal scheint es, als würde hier die Zeit stehen bleiben. Ein eigener Mikrokosmos aus Wasserrutschen, leichtem Chlorgeruch und sauren Gummibärchentüten. Und das alles mit Blick auf den Fluss, mit dem alles begann.

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