Süddeutsche Zeitung

Flamenco im Bosco:Feuriges Temperament und schmachtende Poesie

Lesezeit: 2 min

Das Gitarren-Duo Café del Mundo mit Jan Pascal und Alexander Kilian begeistert mit seinem Spiel das Publikum in Gauting.

Von Reinhard Palmer, Gauting

Mit dem Flamenco verhält es sich wie mit den meisten traditionellen Kunstformen: Ihre orthodoxen Anhänger dulden keine Neuerungen. So wird beispielsweise Astor Piazzollas "Tango nuevo" bis heute von eingefleischten Tangueros nicht anerkannt, ja sogar verpönt. Ähnlich erging es durchaus auch Paco de Lucía, dem großen Flamenco-Gitarristen, der die zu Beginn des 19. Jahrhunderts unter den Gitanos Andalusiens entstandene Musikkultur in den Konzertsaal brachte. Zugleich revolutionierte er das Gitarrenspiel mit rasanter Schlagtechnik der ganzen Hand statt des eigentümlichen Rasgueado, in dem die Finger nacheinander nagelseitig über die Saiten gleiten, wie man es noch so fabelhaft Stilrein in den heute schon historischen Aufnahmen von Ramón Montoya oder Sabicas hören kann. Der Flamenco gewann damit an Schärfe, Lautstärke und Aggressivität, sein Spiel an der Gitarre zudem an Virtuosität, zumal de Lucías Fingerfertigkeit bis dahin unerreichte Tempi meisterte.

Daran knüpft das Duo Café del Mundo mit Jan Pascal und Alexander Kilian an - und vermochte damit am Freitagabend den ausverkauften Gautinger Bosco-Saal in Euphorie zu versetzen. Inhaltlich entfernen sich Pascal und Kilian allerdings noch weiter vom Ursprung des Flamencos weg, als es Paco de Lucía je gewagt hätte. Ihr Ausgangsmaterial finden die beiden technisch grandios zaubernden Gitarrenvirtuosen im Prinzip überall, wo eine Flamenco-Struktur unterlegt werden kann - ob in der mittelalterlichen englischen Musik, bei Bach, im Jazz, in der Filmmusik oder in Popsongs. Oder eben auch bei Piazzolla, dessen "Oblivion" und "Libertango" allerdings durchaus als artverwandt bezeichnet werden können.

Während Paco de Lucía noch immer wieder zur tradierten Form mit dem inbrünstigen Gesang, Tänzern und Tänzerinnen in seiner Compañía flamenca sowie den tradierten Rhythmen wie Alegría, Soleá, Bulería oder Siguiriya zurückkehrte und auch in seinen Eigenkompositionen darauf aufbaute, geht Café del Mundo spielerisch mit der musikalischen Substanz um. Auch im Zusammenspiel, in dem das Dialogisieren oder Sich-Ergänzen auf einen möglichst originellen Effekt bedacht sind.

Spannend ist, wie beide Gitarristen den Flamenco unterschiedlich interpretieren

Das Duo bekennt sich zur gepflegten und anspruchsvollen Unterhaltung, und das sowohl musikalisch wie verbal mit einem pointenreichen Humor, auf den sicher so manch ein renommierter Comedian neidisch werden könnte. Ja, Pascal und Kilian liefern eine erstklassige Show inklusive Publikumsanimation ab, die aber auch - gewollt oder gar nicht bewusst - auf die unterschiedliche Auffassung des Flamencos der beiden Musiker verweist. Der 48 Jahre alte Jan Pascal lernte als Flamenco-Gitarrenschüler von Rafael Cortes und Mariano Martín offenbar auch den philosophisch-poetischen Hintergrund des Genres kennen, während Alexander Kilian den Flamenco in erster Linie als eine reine Musikgattung betrachtet, die der 37-Jährige spieltechnisch grandios beherrscht.

Dieser Unterschied macht sich auch deutlich im Gitarrenspiel bemerkbar: Während Kilian mit spitzen Tönen in rasanten Tempi das Publikum von den Sitzen reißt, ist Pascal darum bemüht, etwas von der warm-tonigen Poesie der Flamenco-Tradition zu retten, wenn auch mit wenig Erfolg. Das ist schade, denn Flamenco ist nicht nur feuriges, extrovertiertes Temperament. Leidenschaft hat in dem Fall auch was mit Leiden zu tun, vielleicht weniger schmerzhaft als sehnsuchtsvoll, bisweilen schmachtend. Poesie gehört unbedingt zum Flamenco dazu, auch wenn sie im Gesang in unseren Ohren mehr herausgeschrien als gesungen erklingt.

Viel Beifall und ein Medley als Zugabe

Im konzertanten Gitarren-Flamenco ist diese Poesie traditionell allgegenwärtig, zumal im Grunde schon in der Harmonik zugrunde gelegt. Dass Kilian die Tremolo-Technik beherrscht, war nicht zu übersehen. Doch er nutzt sie ausschließlich für rasante Läufe statt für sangliche Melodiegestaltung. Das verwundert, vermochte doch gerade sein offensichtliches Vorbild de Lucía großartig berührende Gesänge in dieser Spieltechnik anzustimmen.

Ein Gewinn fürs Konzert wären sie allemal gewesen, denn der Kontrasteffekt zu den leisen Tönen blieb hier ungenutzt. Damit erfassten die Musiker aber auch das Wesen des Flamencos nur zum Teil. Denn trotz des lodernden Temperaments ist er auch empfindsam, bisweilen sogar fragil, poetisch allemal. Das Bosco-Publikum tobte dennoch - und bekam ein buntes Medley als Zugabe.

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