Süddeutsche Zeitung

Flüchtlingspolitik I:Größte Hürde ist die Sprachbarriere

Lesezeit: 2 min

Im Landkreis Starnberg beschäftigt derzeit ein Viertel aller Unternehmen Asylbewerber. Qualifikation und Arbeit gelten als Schlüssel zur erfolgreichen Integration, doch die Erfahrungen mit Flüchtlingen sind höchst unterschiedlich

Von Blanche Mamer, Gauting

"Anaguth ist ein positiver Mensch, sehr offen. Sein Deutsch ist gut, aber ausbaufähig. Manche Zusammenhänge versteht er nicht, gibt das aber nicht immer zu", berichtet Marktleiterin Julia Attwell vom Bio-Supermarkt Vollcorner in Gauting. "Wir haben jedenfalls viel daraus gelernt und feste Zeiten für das Vermitteln von Grundkenntnissen eingerichtet". Sie ist eine von drei Vertretern von Unternehmen aus dem Würmtal, die Asylbewerber beschäftigen und beim Treffen "Asyl und Arbeitsmarkt" im Gautinger Rathaus ihre Erfahrungen mit dem afghanischen Flüchtling und den Behörden erläutert.

Wie am Vormittag bei der Auftaktveranstaltung zur Koordinierung von Bildungsangeboten für Neuzugewanderte im Starnberger Landratsamt (siehe Foto und nebenstehenden Bericht) geht es darum, in gemeinsamen Treffen Probleme im Umgang mit Flüchtlingen zu erörtern und Perspektiven zu entwickeln. So sind amtliche Hürden eins der wichtigen Themen bei der Veranstaltung der Gesellschaft für Wirtschafts- und Tourismusentwicklung(Gwt) im Landratsamt Starnberg . Ein Viertel aller Unternehmen beschäftigen Asylbewerber, bei Handwerksbetrieben sind es sogar ein Drittel, berichtet Gautings Bürgermeisterin Brigitte Kössinger. Doch nur eine von zehn Firmen fühle sich ausreichend informiert. Darum habe man eine Veranstaltung im Rahmen des Förderprojekts zur beruflichen Integration von Flüchtlingen organisiert, sagt Gwt-Kommunikationsmanagerin Daniela Tewes. Ziel sei, alle wichtigen Akteure an einen Tisch zu bringen.

Neben Vize-Landrat Georg Scheitz und Vertretern der Ausländerbehörde, Martin Smehyl und Liesa Keller, waren auch Dirk Dieber (Agentur für Arbeit), Gerhard Schindler (Jobcenter Starnberg) und Hans Wilhelm Knape (Förderkreis Asyl Gauting) dabei, zudem Unternehmer und ehrenamtliche Helfer. Während Scheitz auf die weiterhin schlechte Personalsituation bei der Ausländerbehörde hinweist, sagt Smehyl - seit zehn Tagen neuer Geschäftsbereichsleiter Öffentliche Sicherheit und Ordnung - die Arbeits - und Ausbildungsgenehmigungen für Flüchtlinge seien Ermessensentscheidungen auf Basis von Informationen verschiedener Ämter. Das könne schon mal vier bis sechs Wochen dauern. Für die Firmenvertreter kein Trost: Einige berichten von "Schikanen" durch die Behörden, so dass sie trotz des Engagements und Fleißes der Flüchtlinge überlegen, ob sie sich weiterhin engagieren sollen.

Im Hauptbüro von Vollcorner beispielsweise ist ein Mitarbeiter nur damit beschäftigt, sich um Anträge, Zeugnisse, Papiere der zwölf Asylsuchenden zu kümmern. Selbst wenn Sprachkenntnisse als "gut" gelten, heiße das nicht, dass alles verstanden werde. Große Mängel gebe es nicht nur bei der Allgemeinbildung der Flüchtlinge, sondern vor allem im Rechnen.

Ein Vertreter des Bauindustriezentrums in Stockdorf berichtet: Wenn ein Flüchtling als Gehilfe auf dem Bau 40 und 20 Zentimeter nicht zusammenzählen könne, könne man ihn eben auch nicht weiter vermitteln. Gute Erfahrungen mit Flüchtlingen hat dagegen das Kraillinger Unternehmen Eos, Spezialist für 3D-Drucker, gemacht: Zum 1. Mai werde ein Asylsuchender aus dem Irak, der dort Physik studiert hat, in Vollzeit in der Qualitätskontrolle angestellt, berichtet eine Mitarbeiterin.

Schwierig ist die Situation für Flüchtlinge aus Afghanistan: Sie haben derzeit eine geringe Bleibeperspektive. Es sei daher nicht einfach Ausbildungsgenehmigungen auszustellen, sagt Dieber. Seine Agentur habe längst die Kapazitätsgrenze erreicht, zudem ändere die Politik ständig die Vorgaben. Über die Jahreswende habe Bayern eine restriktive Wendung gestartet, was sich auch auf die Eingliederungszuschüsse auswirke, die an Firmen gezahlt werden, die Flüchtlinge beschäftigen. "Die Unternehmen brauchen Sicherheit", betont auch Gautings Bürgermeisterin. Sie müssen planen und rechtzeitig wissen, ob sie Flüchtlinge beschäftigen können.

"Wie geht man als Helfer damit um? Sollen die Flüchtlinge Däumchen drehen und depressiv werden? Das macht auch die Helfer kaputt", moniert ein langjähriger Ehrenamtlicher. "Wir haben auch kein Patentrezept", sagt Schindler. "Wir brauchen nicht nur Mitarbeiter, sondern auch Räumlichkeiten, um mehr Qualifizierungsmaßnahmen anbieten zu können. Denn Leute, die ohne Perspektive in Lagern hocken, bedeuten Sprengstoff für die Zukunft."

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.3482336
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 28.04.2017
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.