Süddeutsche Zeitung

Elle-Kollektiv im Kino:Wachstumsturbo und Wahnsinn

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Die einfallsreiche Theatertruppe vom Ammersee präsentiert in einer Welturaufführung in Dießen einen Film, der 2021 zu den Aufführungen von "Das Meditier" entstanden ist.

Von Armin Greune, Dießen

Eine Weltpremiere feiert man in der "Filmwelt am Ammersee" nicht alle Tage. Deshalb wird an diesem Samstagnachmittag auch der rote Teppich ausgerollt und vor dem Kino drängen sich die Zuschauer, um den Auftritt der "Stars" nicht zu versäumen. Die lassen ein wenig auf sich warten, bis sie standesgemäß mit einer dunklen Limousine vorfahren, um mit Jubel und Blitzlichtgewitter empfangen zu werden.

Mit "Elle Goes Hollywood" hat das Theaterkollektiv vom Ammersee selbstironisch zur ersten Aufführung seines Films "Be water my, Reporterin" eingeladen. Gekommen sind freilich erwartungsgemäß keine Größen der Filmbranche, sondern Familie, Freunde und Fans der Bühnentruppe, die mit ihrer von Ideen überbordenden "Trilogie der schlafenden Vernunft" das Publikum entzückt hat. Auf "Der Erleuchthund" (2017, in einer Schondorfer Gärtnerei) und "Die blondierte Stierin (2019, verschiedene Stationen zwischen Schondorf und Utting) folgte nach Corona-Zwangspause, die mit einem "Prolog" überbrückt wurde, "Das Meditier", das im Sommer 2021 in Schondorf am und im Ammersee aufgeführt wurde. Aus dem gefilmten Material, das in dieser Inszenierung nur stark gekürzt verwendet wurde, ist der mehr als einstündige Streifen entstanden, der nun in Dießen erstmals öffentlich gezeigt wurde.

Die Elle-Aktionen leben vor allem von der Einbeziehung der Zuschauer ins Geschehen

Ob das "immersive Dorftheater", das Elisabeth-Marie Leistikow, Luis Lüps und Louis Panizza kreiert haben, auch im Kino seinen Zauber entfaltet? Nicht ganz. Schließlich leben die Elle-Aktionen gerade von der Einbeziehung der Zuschauer ins Geschehen und von wechselnden Spielorten, für die man die Perspektiven frei wählen kann. Dazu kommt der Reiz der Verunsicherung, wenn sich die Grenzen zwischen Fiktion und Fantasie auflösen: Der ist halt live in leerstehende Gebäuden oder unter freiem Himmel ungleich größer als im Film, wo Betrachter ja im Kinostuhl geerdet sind. All dies wird natürlich von Elle-Kennern in der für die Leinwand um zwei Dimensionen geschrumpften Performance schmerzlich vermisst. Dennoch ist auch in "Be my water..." die Spielfreude des Ensembles deutlich zu spüren. Der Dießener Filmemacher André Döbert hat als Kameramann sowie mit Schnitt, Sound und visuellen Effekten das Meditier-Filmmaterial zudem gekonnt aufpoliert.

Die Handlung besteht aus den Irrwegen der Reporterin Rosalie Rosenberger (Leistikow), die für "Ammerseekurier-TV" auf der Suche nach Wasser und Wahrheit ist. Mit ihrem Kameramann Roland Rasensprengler wird sie von einem mysteriösen Gerät, das wie ein Zwitter aus Stehlampe und Lasergewehr aussieht, an verschiedene Orte rund um den Ammersee teleportiert. Wo sie sich vergebens bemüht, eine fernsehtaugliche Live-Reportage zu liefern: "Wir müssen den Zuschauern eine Story bieten", ruft sie dabei gehetzt und verzweifelt aus - aber ein kontinuierlicher Erzählstrang widerspricht ja gerade den Elle-Prinzipien: "Wir verbrennen alle roten Fäden", hat Luis Lüps einmal kategorisch erklärt, der mit Leistikow zusammen für Buch und Regie des Films und der Aufführungen verantwortlich ist.

Es lässt sich nicht verhehlen, dass der Streifen auch seine Längen hat. Gerade die hysterischen Ausbrüche der Reporterin leiden ein wenig unter Redundanz: Leistikow spielt diese Schreckschraube mit rosa Perücke als eine Frau, die nicht am Rande, sondern stets mitten im Nervenzusammenbruch steht. Walter, der Nachrichtensprecher des Senders, zeigt im Laufe des Geschehens ähnliche Auflösungserscheinungen - aber die Unbeholfenheit, die Döbert dabei an den Tag legt, ist wesentlich amüsanter. Viel Witz enthalten auch die eingestreuten "Werbespots", in denen ein Immobilienmakler verspricht, für seine Kunden "den Wachsturmsturbo zu zünden" oder mit dem eingängigen Slogan "Mückenplage - nein danke" für BTI Reklame gemacht wird.

Und immer wieder tauchen zwischen Wasser und Wahrheit, Wahnsinn und Wachstumsturbo ebenso witzige wie geistreiche Gedanken auf: Etwa wenn Anton Gruber in seiner Dießener Buchhandlung aus "Moby Dick" rezitiert. Was ihn zu zwei Erkenntnissen führt: Der Hauptprotagonist leide an "Besessenheit vom Besitz" und: "Elon Musk ist so ein moderner Käptn Ahab - nur kränker."

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