Süddeutsche Zeitung

Dießen:Anwohner müssen für Sanierung ihrer Straße zahlen - nur der Bürgermeister nicht

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Von Christian Deussing, Dießen

Die Wolfsgasse ist ein kleiner historischer Anliegerweg im Dießener Ortsteil St. Georgen, jetzt soll er erstmals ausgebaut werden. Die Anwohner würden dabei kräftig zur Kasse gebeten, sie müssen wohl zwischen 8000 und 67 000 Euro netto für die Sanierung der 270 Meter langen Gasse zahlen. Doch die meisten Anwohner protestieren heftig gegen diesen Beschluss der Marktgemeinde. Sie sehen im Ausbau der sehr wenig frequentierten Straße keinerlei Sinn, manche fühlen sich existenziell bedroht.

Ein Anliegerin spricht sogar von einer "mittelfristigen Enteignung". In Rage geraten die Einwohner aber vor allem deshalb, weil Dießens Bürgermeister Herbert Kirsch als Nutznießer dieses Projekts keinen Cent zahlen muss: Er ist nicht beitragspflichtig, da sich sein 5000 Quadratmeter großes Grundstück am unteren Ende der Straße - "Am Winkelsteg" - knapp im Außenbereich befindet, das aber nur um etwa 50 Meter.

Nun haben 17 Anlieger, die sich zur "Interessengemeinschaft Wolfsgasse" zusammengeschlossen haben, Protestschilder mit Karikaturen gegen den Bürgermeister aufgestellt. Tenor: Kirsch wolle die "Kosten ausschließlich auf die Nachbarn umlegen" und sich offenbar eine repräsentative Zufahrt bauen lassen, wofür der "Charme" der jahrhundertealten Dorfstraße verschwinden würde. Auf einer Tafel wird zudem gefragt, ob "dieses Vorgehen als Vorteilsnahme im Amt gewertet" werden könne?

Warum der Streit nun eskalierte

Zudem habe Kirsch am Ende dieser Anliegerstraße vor Jahren seinen kleinen Bungalow zu einer Villa ausgebaut und auch noch eine Dreifachgarage in der Nähe des Tiefenbachs errichtet, der in einem geschützten Biotop liegt. Die Anlieger-Gemeinschaft moniert auch, dass seinerzeit Kirsch die Wolfsgasse als Baustellen-Zufahrt nutzen ließ - und er ohnehin die Straße, die für ein Ausbau vorgesehen ist, als einziger in gesamter Länge befahre.

Der Streit um den teuren Ausbau ist vor wenigen Tagen eskaliert. Kurz nachdem der Bürgermeister in den Urlaub geflogen war, wurden die 25 Protesttafeln an Hecken, Zäunen und in Vorgärten aufgestellt. Davon bekamen die Familie Kirsch und die Gemeinde Wind, sie schalteten die Polizei ein. Die Beamten fuhren in die Wolfsgasse und fotografierten die Plakate.

Doch Boris Netschajew, stellvertretender Polizeichef in Dießen, kann keine Verleumdungen oder strafrechtliche Verstöße erkennen. Es handele sich um "freie Meinungsäußerungen" auf Schildern, die auf privatem Grund stünden.

Dennoch seien die Fotos sicherheitshalber der Staatsanwaltschaft Augsburg vorgelegt worden, um die Aussagen juristisch prüfen zu lassen. Weniger gelassen reagiert allerdings der Bürgermeister auf die Aktion der Nachbarschaft und deren Vorwürfe. Er fühle sich "terrorisiert" und werde auch "in anonymen Briefen verunglimpft", sagte Kirsch auf Anfrage der SZ.

Bürgermeister enthielt sich bei Abstimmung im Rathaus

Er verwies auf die Beschlüsse der Gemeindegremien, bei denen er in der letzten Phase wegen möglicher Befangenheit nicht mitgestimmt habe. Der Rathauschef betonte, auf Anliegerversammlungen auf die betroffenen Bürger zugegangen zu sein. Diese könnten zudem ein "Widerspruchsrecht" wahrnehmen, wenn die Bescheide vorliegen.

Kirsch wehrt sich auch gegen den Verdacht, dass seine Bautätigkeit im Außenbereich nicht rechtens gewesen sei und den Naturschutz verletzt haben könnte. Das stimme nicht, es sei alles genehmigt worden. Das bestätigt eine Sprecherin des Landratsamtes Landsberg.

Es gebe zwar auf dem besagten Grundstück ein Biotop beim Bach, doch in "Einzelfall-Entscheidungen" könne auch in diesen Bereichen oder in der Nähe etwas gebaut werden - zum Beispiel eine Garage. Die Behörde geht ebenso wie die Markgemeinde davon aus, dass die Wolfsgasse "erstmalig hergestellt" wird. Es gebe jedoch Sonderklauseln bei historischen Straßen, so die Sprecherin. Die "Wolfsgasse" ist am Montag erneut Thema im Gemeinderat.

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SZ vom 19.02.2016
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