Süddeutsche Zeitung

Design:Der Charme der Nachkriegszeit

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In den Fünfzigern beherrschten fragile Formen das Design von Alltagsgegenständen. Der Sammler Olaf Nie ist fasziniert von dieser Zeit. Seine schönsten Objekte sind nun in Weßling zu sehen

Von Patrizia Steipe, Weßling

Sie standen in Vitrinen, zierten mosaikbesetzte Nierentische und waren beliebte Mitbringsel aus dem damals noch exotischen Italien: Kleine Vasen, mal asymmetrisch, mit mehreren Öffnungen, mit bunten Motiven und Oberflächen die so typisch sind, dass sie auch heute auf Anhieb den Fünfzigern zugeordnet werden können. Olaf Nie, Buchbinder aus Weßling, ist Sammler. Es ist die Nachkriegszeit, die ihn fasziniert. Vor rund 25 Jahren wurde ihm ein alter, "sehr schmutziger Nierentisch" aus einem staubigen Speicher angeboten. Seit dem "interessiert mich alles aus der Zeit mit den krummen Beinen, den seltsamen Farben und Formen". Viele seiner Funde stammen von Flohmärkten, wo die Relikte aus Omas Zeiten verhökert werden. Eine Auswahl seiner schönsten Objekte kann jetzt in der ersten Sonderausstellung der Weßlinger Gemeindegalerie bewundert werden. "Tischkultur der 50-er Jahre" heißt der Titel.

Erich Rüba, der die Gemeindegalerie vor einem Jahr für die Kommune eingerichtet und eröffnet hat, ist erstaunt über das große Interesse an den Alltagsgegenständen früherer Zeiten. Viele Besucher erkennen typische Gegenstände aus dem Haushalt der Verwandtschaft oder sie haben selbst noch Einzelteile im Schrank. Zum Beispiel das Bowle-Service mit dem hauchdünnen Glas, das feine Teeservice in den typischen Pastellfarben hellblau, rosa und gelb oder eine der vielen Vasen, die Rübe und Nie in den Vitrinen aufgebaut haben. Die Menge der kleinen Keramiken ist aus heutiger Zeit erstaunlich. Nach dem Krieg hätten die Leute aber einfach weder den Platz, noch das Geld für große Vasen oder teure Blumensträuße gehabt. Oft hätten aber auch Keramiker einfach die Kataloge der großen Einrichtungswerkstätten als Vorbild für ihre Miniaturen genommen. Diese wurden dann von den Bürgern, denen das Geld für die Originale fehlte, erworben. Rübas persönliche Lieblingsstücke sind übrigens die kleinen Drahtmännchen. Mal umfasst ein Männlein einen Kerzenständer, mal sitzen die Biegefiguren in einer venezianischen Gondel.

Olaf Nie hat mehrere Lieblinge. Da wären zum Beispiel die filigranen Teetassen, die in emaillierten Einsätzen stecken oder die kleinen Gestelle für den Partytisch. In die Becher konnten Salzstangen gesteckt und auf eine Stange kleine Salzbrezen aufgefädelt werden. So etwas hatte zweifellos mehr Stil als die riesigen Bottiche voller Chips, die heute auf Festen gereicht werden. Fasziniert ist Nie von der Größe der damaligen Gläser und Tassen. Diese hätten kaum mehr als 0,1 Liter gefasst. Einen ganzen Nachmittag habe man daran genippt.

Für Nie hat die Sammelleidenschaft nicht nur ästhetische Gründe. "Ich wollte verstehen wie meine Eltern gelebt haben". Das damalige Lebensgefühl könne man nicht mit Fotos nachspüren, da fehlte das Gefühl für Proportionen. "Man muss die Dinge sehen und berühren können, um zu verstehen".

Die Formensprache der Fünfziger, die mit ihren schiefen Formen eine Zerbrechlichkeit, aber auch Freiheit ausstrahlte, hatte übrigens 1959 ein schlagartiges Ende. "Die Leute haben wieder Geld verdient, wollten etwas für die Ewigkeit, sind aber auch vom Körpergewicht her schwerer geworden". Die verspielten, fragilen Formen passten nicht mehr. Es gab auch keine Weiterentwicklung der gestalterischen Formen, wusste Nie. "Mit einem Mal war die alles durchdringende Designphilosophie ungültig geworden".

Die Ausstellung "Tischkultur der 50-er Jahre" in der Weßlinger Gemeindegalerie, Hauptstraße 57, ist noch bis Ende März zu besichtigen. Öffnungszeiten sind freitags und sonntags von 14 bis 17 Uhr.

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Quelle:
SZ vom 18.12.2017
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