Süddeutsche Zeitung

"Geisterbahn"-Festival in Berg:Zwei furiose Finals

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Konzertante Klänge im Marstall und experimentelle Sounds auf der MS Starnberg: Die Hochzeitskapelle entführt auf dem zweiten Berger Geisterbahn-Festival in viele Musikwelten von Haiti bis Tokio und von "Der Sendung mit der Maus" bis zur Dreigroschenoper.

Von Armin Greune, Berg

Wer am Sonntag mit der "Geisterbahn" in Berg unterwegs war, konnte zu einer erstaunlichen musikalischen Weltreise in (den) See stechen. Die Route führte über Vivaldi und Filmmusik zu Brecht und Weill, Hillbilly-Folk, Vodou-Trommeln und elektronischer Tanzmusik. Während am Abend an Bord der MS Starnberg unter anderem Gäste aus England, Japan, Griechenland, Belgien und Haiti auftraten, ließ sich der erste Teil der Veranstaltung im Marstall eher bodenständig verorten.

Im Mittelpunkt dieses Konzerts standen Werke des Komponisten Hans Posegga, der bis zu seinem Tod 2002 in Assenhausen gelebt hat. Zudem leitete Nils Schad das Orchester Frisch gestrichen!, der im Berger Ortsteil Harkirchen lebt, Solist war sein Sohn Julian an der Violine. "Fünfundzwanzig Sechzigstel, die Special Forces" seines Jugendensemble konnte der Dirigent aufbieten und gab "Mit vollen Segeln" aus Poseggas Soundtrack zum Fernsehklassiker "Der Seewolf" den Kurs vor.

Es folgten Variationen zu seinem Thema aus "Der Sendung mit der Maus": Wie viele Deutsche seit ihrer Kindheit wissen, endet der Vorspann des TV-Kinderprogramms stets mit einer Ansage in einer anderen Fremdsprache. Frisch gestrichen und das Stuttgarter Quartett Fagottissimo präsentierten Poseggas Gassenhauer folgerichtig als Tango, Foxtrott, langsamen Walzer und Onestepp.

Die vier Holzbläser interpretierten auch Exzerpte aus "Die seltsamen Träume des Don Qixotte", einem Werk, das der Komponist eigens für Fagottissimo geschrieben hat. Wowo Habdank sprach verbindende Texte dazu, dennoch blieb dieser Teil des Programms in Relation zum Rest relativ langatmig und pointenarm. Dafür setzten die junge Streicher mit Aavo Pärts "Fratres" und dessen dissonanten und monumentalen Akzenten einen eher düsteren Kontrapunkt zu den Poseggas meist heiteren und gefälligen Melodien. Vor allem aber brillierte das Ensemble mit Max Richters "The New Four Seasons - Vivaldi Recomposed". Seit der Veröffentlichung 2012 ist diese moderne Bearbeitung nicht nur in den Klassikcharts ein Hit, für Frisch gestrichen aber wirkt sie geradezu maßgeschneidert: Das Orchester widmet sich vor allem hauptsächlich groovender und swingender Unterhaltungsmusik des 20. Jahrhunderts.

Nils Schad, hauptberuflich Geiger bei den Münchner Philharmonikern, leitet das Ensemble seit fast 30 Jahren. Der Hauptsitz des Orchesters ist zwar Mindelheim, aber viele Mitglieder kommen aus dem Fünfseenland. Dennoch konzertierte es nun - nach einem Gastspiel 2010 in Wangen - erst zum zweiten Mal am Starnberger See. Richters Vivaldi-Variation hatte man eigens für das "Geisterbahn"-Festival einstudiert und das glänzend disponierte Ensemble erntete dafür im Marstall zu recht wahre Begeisterungsstürme. Daran hatte auch Julian Schad gehörigen Anteil: Der 27-Jährige hat im Juli sein Studium an Royal Academy London mit dem Master abgeschlossen und meisterte seinen Part bravourös.

Damit wurde das Publikum beseelt und beschwingt nach draußen entlassen, wo es von der Hochzeitskapelle empfangen wurde. Als Mini-Marching-Band geleitete sie die Besucher zum 300 Meter entfernten Steg und legte dabei nur einen kurzen Halt zwischen vier Gipsschwänen und einem König-Ludwig-Gedenkstein ein. An Bord des restlos ausverkauften Katamarans folgte ein abenteuerliches und abwechslungsreiches Programm, das Micha und Markus Acher (Hochzeitskapelle, Notwist) zusammengestellt hatten. Millipede, das Quartett um den Posaunisten Mathias Götz, spielte durchkomponierte, zeitlose Kammermusik; dank Wataru Okuma und Miwa Kogure aus Tokio konnte man erfahren, wie "Die Moritat von Mackie Messer" auf japanisch klingt.

Während das Sonnendeck von Images of Goo und Driftmachine mit digitalen und analogen Synthesizerklängen beschallt wurde, heizten Chouk Bwa & the Ångstromers den Gästen im Salon mit hypnotischen Vodou-Gesängen, polyrhythmisches Trommeln und Dubs vom Mischpult ein. Jedes Mal, wenn der Beifall einsetzen wollte, startete das Sextett erneut, bis das Schiff nach ungezählten Runden auf dem See wieder in Berg anlegte. Und das Publikum nach 22 Uhr ein weiteres Mal begeistert entließ.

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