Süddeutsche Zeitung

Seejazz-Festival:Mit Zungentrommel und Regenfallrohr

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Justyn Tyme spielt im Pöckinger Beccult. Als besonderer Gast ist Lancelot Scott mit von der Partie.

Von Reinhard Palmer, Pöcking

Festivals sind auch dazu gedacht, innerhalb eines konzentrierten Zeitraums etwas Besonderes, manchmal thematisch Außergewöhnliches anzubieten. Eine Chance für Musiker und Bands, die Routine zu verlassen und vielleicht auch mal mehr zu wagen, ja sogar ein ungewöhnliches Konzept experimentell auszuloten. Ganz so weit ging es beim Auftritt vom Münchner Quintett Justyn Tyme beim vorletzten Konzert des Seejazz-Festivals im ausnahmsweise vom See abgerückten Pöckinger Beccult zwar nicht, doch der sechste Mann im Bunde brachte als Special Guest schon reichlich frischen Wind in den "Groove Jazz" der vor 32 Jahren gegründeten Formation.

Lancelot Scott aus Tobago - nicht zum ersten Mal mit Justyn Tyme auf der Bühne - vermochte vor allem mit seiner Steel Pan karibische Heiterkeit und einen Hauch von Exotik ins Spiel zu bringen. Die ausgeprägte Charakteristik des im Ursprung aus alten Ölfassböden getriebenen Schlaginstruments rührt von seiner starken Klangdynamik und minimal unsauberen Stimmung her. Erstaunlich, wieviel allein dieser Klang zu verändern vermag! Sobald Scott die ersten Töne anschlug, heiterte sich schlagartig die Wirkung der Musik auf. Die Mannen von Justyn Tyme verstanden es aber zudem, Scotts Percussion klanglich in die eher warmtonige Bandkonstellation einzubinden.

Die Steel Pan erwies sich überaus stimmig im Terzett mit den Bläsern, den Saxophonen von Thomas Maier und der Posaune von Max Dresse, insbesondere im Unisonospiel wie etwa im lässig-vergnügten "Almdudler". Aber auch im Hauptanliegen der Formation, mächtig zu grooven, setzte Scott großartige Akzente, vornehmlich im nicht selten pfiffig dialogisierendem Zusammenspiel mit dem Schlagzeuger Andreas Hauer und dem spieltechnisch reichhaltig variierenden Bassisten Thomas Gätjens - allerdings bevorzugt mit Bongos oder der afrikanischen, längst auf allen Kontinenten verbreiteten Djembé. Solch enorm wirkungsvoll groovenden Konstellationen waren natürlich ein probates Mittel, die Euphorie zum Ende des Auftritts hin zu steigern und dem auch hier seit dem Corona-Einbruch reduzierten Publikum ordentlich einzuheizen.

Packende Rhythmen und schmetternde Bläsersetze

Markus Rösch am vom E-Piano bis Hammondorgel klangvariablen Keyboard bewegte sich permanent zwischen den diversen Konstellationen, war mal Klangfärber, mal Groover, dann aber wieder ein virtuoser Solist, der dem sanglichen Stil der Steel Pan auch schon mal mit einem Hauch von Stride Piano entgegnete. Funk, Soul und Latin-Jazz sind prädestiniert dafür, mit packenden Rhythmen und schmetternden Bläsersetzen satt zu protzen. Zu solchen Höhenflügen ließen sich die Musiker hier in den dramaturgisch konzipierten Steigerungen auch immer wieder hinreißen, bisweilen schon mal bis zu einem gepflegt wirren Dröhnen, das sich als Kontrast zur anschließenden Ordnung überaus wirkungsvoll erwies.

Besonders spannend wurde es aber in den leider sehr wenigen weltmusikalischen Einsätzen, etwa im "Selamat Pagi" (indonesisch "Guten Morgen"), bei dem Maier zum Berimbau (Kalabasse mit einer Schlagsaite am Hals) aus dem brasilianischen Bundesstaat Bahia und Hauer zu einer Zungentrommel aus Bali griffen und von Scotts Steel Pan farbenfroh, und mit dem "Matilda"-Thema, einer versteckten Belafonte-Reminiszenz, ergänzt wurden. Über die repetitive Monotonie in der Charakteristik der Gamelanmusik konnte sich die Posaune mit einfühlsamem Jazz wirkungsvoll erheben.

Hauer, der in der Neil-Young-Hommage "Blue Hour" auch schon mal die Bluesharp blies, ließ sich aber die ultimativ spannendste Geschichte einfallen: Ein Regenfallrohr von mehreren Metern Länge als Percussionsinstrument (Schläge auf die Öffnung mit der Handfläche), in das reingesungen ein entrückt-halliges Beschwören suggeriert werden konnte, lieferte in "Rohr" (welch fantasieloser Titel) eine magische Unterlage für eine sensibel ertastete Ballade. Von solchen Experimenten hätte man sich durchaus mehr gewünscht, was nicht heißen soll, dass es Justyn Tyme nicht gelungen wäre, sein Publikum auch ohne Baumarktausstattung zu begeistern. Zwei Zugaben mussten noch folgen.

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