Süddeutsche Zeitung

Ausstellung in Pöcking:Mit langem Atem zur Malerei

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Isolde Grözinger schenkt sich zum 80. Geburtstag selbst eine Schau im Kulturhaus "Beccult"

Von Katja Sebald, Pöcking

Zum achtzigsten Geburtstag machen die einen ein großes Fest und die anderen flüchten sich vor dem Trubel. Manche gehen vielleicht auf Kreuzfahrt und manche sind einfach nur froh, dass sie überhaupt so alt geworden sind. Isolde Grözinger schenkte sich zu ihrem Jubeltag selbst eine Ausstellung im Pöckinger Kulturhaus "Beccult" und freut sich unbändig darüber, dass sie im Ruhestand doch noch das geworden ist, was sie ihr Leben lang sein wollte: Malerin.

Grözinger, 1941 in Bamberg geboren und in Kronach aufgewachsen, malt und zeichnet seit ihrer Kindheit, zunächst unter der Anleitung ihres Vaters. Obwohl der Vater, selbst Lehrer, ihr künstlerisches Talent förderte, bestand er auf einer "ordentlichen" Ausbildung. So studierte sie Wirtschaftswissenschaften und wurde ebenfalls Lehrerin. Später entstanden einige Buchillustrationen, unter anderem für die Stadt Kronach. Seit Anfang der 1970er Jahre lebt Isolde Grözinger in Pöcking und ab 1997 besuchte sie die Malschule von Juschi Bannaski in Aufkirchen, wo sie auch an zahlreichen Workshops teilnahm. Nach ihrer Pensionierung baute sie sich im Dachgeschoss ihres Hauses ein Atelier aus - und widmete sich fortan der Malerei.

In der aktuellen Ausstellung zeigt Isolde Grözinger mehr als hundert Arbeiten aus den letzten zwei Jahrzehnten, außerdem gewährt sie Einblicke in ihre Skizzenbücher und konzeptionellen Zeichenbücher. Die Bilder, die zumeist in einer Collagetechnik entstehen, werden nach Werkgruppen geordnet präsentiert. Dafür entwarf die Künstlerin ein eigenes System aus Stellwänden. Wer meint, er begegnet in dieser Ausstellung einer "Hobbykünstlerin", der liegt denkbar weit daneben. Grözinger betreibt ihr Metier mit bewundernswerter Ernsthaftigkeit - und man kann sich gut vorstellen, dass sie so auch als Lehrerin gearbeitet hat. Eiserne Disziplin und langer Atem, Struktur und Hingabe führen zu oftmals überzeugenden Bildfindungen.

Im Foyer empfangen den Besucher zunächst eine ganze Reihe von Blumenbildern: Wenn es im Frühsommer in den Vorgärten der Pöckinger Lindenberg-Siedlung üppig blüht, wird Isolde Grözinger für ein paar Wochen zur Blumenmalerin, die sich ganz der Farbfreude hingibt. Auch im großen Ausstellungssaal gibt es noch einmal eine Werkreihe, in der es nur um Farbe geht: Dort werden jedoch sehr nuanciert monochrom gestaltete Papierrechtecke zu harmonischen Farbcollagen arrangiert.

Als eigentlichen inhaltlichen Anfang der Ausstellung - die den Titel "Rückschau" trägt - muss man jedoch das Kabinett mit den "Kindheitserinnerungen" sehen: Wieder sind es sorgfältig malerisch bearbeitete Papierformen, die diesmal jedoch in morbiden Nichtfarben die Verdunkelungen im Zweiten Weltkrieg, die Enge im Luftschutzkeller und zerbombte Stadtlandschaften zu fast abstrakten Bildwelten verdichten oder die blutig-schmutzige Schürze des Schlachters und das fleischfarbene Korsett der Großmutter gleichsam aus der Perspektive des Kindes abbilden. "Wer ist dieses ich?" heißt eine Werkreihe, die sich mit schonungsloser Selbstbefragung thematisch anschließt.

Mit schwarzer Pastellkreide werden die Eindrücke von einer Norwegenreise aufs Papier gebannt. Mit farbigen Kreiden und mit ihrer eigenwilligen Collagetechnik stürzt sich Grözinger kopfüber in das Thema "Minotaurus", das sie über Wochen in ihrer Malgruppe bearbeitet: Es entstehen opulente, manchmal auch düstere Zeichnungen von großer Ausdruckskraft. Und selbst aus den beinahe weggeworfenen bemalten Papierstücken und Schnipseln aus der Restekiste im Atelier schöpft Grözinger noch eine ganze Reihe überzeugender Kompositionen im Grenzland zwischen Konkretem und Abstraktem. Beeindruckend ist diese Ausstellung nicht zuletzt wegen ihrer Fülle und der großen Schaffensfreude, die aus jedem einzelnen Blatt spricht.

Die Ausstellung "Rückschau" ist noch bis zum 5. September 2021 täglich von 16 bis 19 Uhr im "Beccult", Weilheimer Straße 33, in Pöcking, zu sehen.

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Quelle:
SZ vom 03.09.2021
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