Süddeutsche Zeitung

Stadtverwaltung:Münchner Behörden verabschieden sich vom Prinzip der offenen Tür

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Von Heiner Effern, München

Die Stadt will als Reaktion auf den Münchner Amoklauf und die Anschläge in Bayern in diesem Sommer alle ihre öffentlichen Gebäude mit einem Zugangssystem ausstatten. Damit soll genau geregelt werden, welche Personen zu welcher Zeit und über welche Eingänge in eine Behörde gelangen dürfen. Je nach Dienststelle kann die Überwachung über ein Schließsystem, Personenkontrollen oder Videokameras erfolgen. Das geht aus dem gerade erarbeiteten, neuen Sicherheitskonzept der Stadt hervor, das der Verwaltungs- und Personalausschuss nach Informationen der Süddeutschen Zeitung an diesem Mittwoch in nicht-öffentlicher Sitzung beschließen soll.

"Dabei gilt der Grundsatz, dass Dienstgebäude nicht offen zugänglich sind", schreibt Personalreferent Alexander Dietrich. Viele Behörden wie auch das Rathaus am Marienplatz können Bürger derzeit unbeaufsichtigt betreten. Betroffen von der neuen Regel sind laut Konzept alle städtischen Referate und Verwaltungsgebäude. Für das Rathaus selbst soll es vermutlich noch ein separates Konzept geben.

Für die sehr unterschiedlich genutzten Verwaltungsbauten wurden vier verschiedene Sicherheitskategorien definiert. Büros ohne Parteiverkehr laufen in der untersten Gefährdungsstufe eins, gelegentliche Kundenbesuche bedingen Stufe zwei. Darunter dürfte zum Beispiel ein Großteil des Kommunalreferats fallen. Dienststellen der Stadt, die regelmäßig Bürger empfangen, rangieren auf der Ebene drei. Den intensivsten Schutz der Stufe vier benötigen demnach Mitarbeiter, die aufgrund ihrer Klientel mit Aggressionen verstärkt rechnen müssen.

Das direkt betroffene Sozialreferat verzeichnete etwa im Jahr 2015 nicht weniger als 106 Attacken auf Mitarbeiter. Drei Jahre vorher lag die Zahl noch bei 73. "Die Tendenz bleibt auch in 2016 steigend", schreibt Sozialreferentin Dorothee Schiwy in einer Stellungnahme zum Sicherheitskonzept.

Ausgenommen von den neuen Vorgaben sind gewerbliche Arbeitsplätze sowie Schulen und Kindergärten, für die eigene Sicherheitskonzepte vorliegen. Die Stadt legt drei unterschiedliche Gefahren-Szenarien für ihre Mitarbeiter fest: einen Brand, einen Übergriff und einen Amoklauf. Zur Abwehr sind aufeinander aufbauende Komponenten vorgesehen, analog zu den vier Gefährdungsstufen.

Als Basis dient das neu einzuführende Zugangssystem. Gebäude ohne Parteiverkehr sollten zudem überall ausreichend beleuchtet sein, heißt es im Konzept. In Behörden der Stufe zwei sollen die Mitarbeiter mit Kundenkontakt Alarm auslösen können, falls sie eine Attacke oder einen Amoklauf fürchten oder bereits wahrnehmen.

Büros mit regelmäßigem Bürgerbesuch wie etwa das Kreisverwaltungsreferat sollen zusätzlich ausreichend große Wartebereiche erhalten. So könne man "größere Personenansammlungen auf engem Raum vermeiden", heißt es im Konzept. Die richtigen Farben, Möbel, Lichter und eine ordentliche Lüftung sollen dafür sorgen, dass sich auch bei längerem Warten keine Aggressionen hochschaukeln.

Wo immer möglich, sollen die Referate separate Eingänge für ihr Personal schaffen. Die Möbel seien so zu bemessen und zu stellen, dass zwischen diesen ein Fluchtkorridor gewährleistet ist. Alle Mitarbeiter in diesen Büros sollen Alarmdrücker erhalten, die sie in Taschen ihrer Kleidung stecken können.

Diese Vorkehrungen will das Personalreferat als einheitliche Mindeststandards bis spätestens zum Jahresende 2017 umgesetzt sehen. Dafür seien zusätzliche Ausgaben und neue Stellen notwendig. Auf eine Zahl legt sich Personalreferent Dietrich noch nicht fest. Ein wesentlicher Anlass für das neue Sicherheitskonzept war ein Vorstoß der Personalräte der Stadt. Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) erteilte Ende August den Auftrag dafür. Als Grund wird im Vorspann des Konzepts das "subjektive Sicherheitsgefühl der städtischen Beschäftigten" genannt, das sich verschlechtert habe.

Als Ursachen dafür werden unter andrem der Amoklauf vom 22. Juli, die Anschläge in Ansbach und Würzburg sowie die Debatte über die Wiesn-Sicherheit angeführt. Ganz am Ende folgen noch "einzelne Vorkommnissen in städtischen Dienststellen". Das erzürnt Sozialreferentin Schiwy. Fast jeden zweiten Arbeitstag würde einer ihrer Mitarbeiter attackiert, da könne man nicht das "subjektive Sicherheitsgefühl" als Grund für das neue Sicherheitskonzept nennen, schreibt sie.

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Quelle:
SZ vom 07.12.2016
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