Süddeutsche Zeitung

Stadtrat:Wie die Parteiwechsel im Rathaus die Bürgerliche Mitte stärken

Lesezeit: 3 min

Fünf der sechs Stadträte haben ihre alten Parteien im Streit verlassen - der Fraktionsvorsitzende sogar schon zum zweiten Mal.

Von Dominik Hutter

Die Entscheidung ist ziemlich kurzfristig über Ostern gefallen. Parteiwechsel - von den Freien Wählern zur Bayernpartei. Für Johann Altmann ist das nichts ganz Neues, bereits 2006 hatte der damalige CSU-Stadtrat seiner Partei den Rücken gekehrt und war zu den Freien Wählern gegangen.

Dass er sie nun wieder verlässt, hat mit Ereignissen vor vielen Monaten zu tun, Altmann hat also offenbar länger gegrübelt. Und es spielen persönliche Animositäten eine Rolle. Es ist ein offenes Geheimnis, dass sich der 1954 geborene Polizeibeamte und der Münchner Parteivorsitzende Michael Piazolo nicht grün sind.

Piazolo war entsetzt gewesen, als Altmann nach der Kommunalwahl 2014 eine Ausschussgemeinschaft mit der AfD einging - damals noch der Lucke-AfD wohlgemerkt. Die Proteste aus der Parteispitze blieben jedoch ohne Folgen. Altmann zog sein Ding durch, bis zur Abwahl Luckes und dem damit verbundenen Rechtsruck der AfD. Erst dann war die Ausschussgemeinschaft Geschichte. Teile der Freien Wähler haben ihm das bis heute nicht verziehen.

Und Altmann kann seiner bisherigen Partei nicht verzeihen, wie statisch sie geworden ist. In München würden keine neuen Mitglieder aufgenommen, selbst den Fraktionskollegen Josef Assal habe Piazolo abgelehnt. "Ich bin es leid, für eine Partei zu kämpfen, die nach außen nicht stärker werden will", sagt Altmann, der nach eigener Auskunft offiziell nicht einmal mehr für die Freien Wähler sprechen durfte.

Bürgerliche Mitte wird plötzlich durch die Bayernpartei dominiert

Als Altmann nach Gesprächen mit seiner Frau und mit Freunden zu seinem Entschluss kam, wusste er bereits, dass die Bayernpartei demnächst durchstarten würde. Es hatte schon Gespräche mit den unzufriedenen CSU-Stadträten Eva Caim und Mario Schmidbauer gegeben, die ebenfalls mit den Separatisten der Bayernpartei liebäugelten.

Von eins auf vier: Die von Altmann geleitete Stadtratsfraktion Bürgerliche Mitte wird plötzlich durch die Bayernpartei dominiert, die bislang mit Richard Progl nur einen einzigen Vertreter im Rathaus hatte. Ursula Sabathil verbleibt bei den Freien Wählern und in der Fraktion, ebenso wie der abtrünnige SPDler und jetzt parteilose Josef Assal.

Die Bürgerliche Mitte wird damit immer mehr zu einem Sammelbecken Unzufriedener mit politischem Migrationshintergrund. Sechs Sitze hat sie nun, einer mehr als der Patchwork-Konkurrent FTB, der sich aus FDP, Piraten und der Wählergruppe Hut zusammensetzt. Von diesen sechs ist nur ein einziger seiner ursprünglichen Partei treu geblieben: Progl, der seit 2010 Mitglied der Bayernpartei ist. Sabathil entstammt wie Altmann, Caim und Schmidbauer dem christsozialen Milieu, war einst sogar stellvertretende CSU-Fraktionsvorsitzende.

Altmann, der weiterhin Fraktionschef der Bürgerlichen Mitte bleiben will, steckt klar ab, welches Feld er beackern will: Eine bürgerlich-konservative Oppositionsfraktion soll es sein, eine, die den Mächtigen "auf die Finger guckt". Bei den Freien Wählern sei man sich dagegen oft vorgekommen wie in einer "Zweigstelle der Grünen". Die Bürgerliche Mitte solle ein politisches Gesicht haben und thematisch nicht einfach nur hinter den anderen Parteien herlaufen.

Jetzt könnten die neuen Fraktionsmitglieder ihre Stimme erheben

Zum Profil der Fraktion gehört strenge Haushaltsdisziplin. Bis auf weiteres sollen keine neuen Initiativen mehr in die Regelförderung aufgenommen werden, zusätzliche Stellen sollen nur noch halbjährlich vom Plenum genehmigt werden dürfen. Konservativ gibt sich die Bürgerliche Mitte auch beim Familienbild: Ein Adoptionsrecht für alle, also auch für Homosexuelle, kommt aus Sicht Altmanns nicht in Frage (dies ist allerdings ohnehin kein Stadtratsthema).

Progressiv gibt man sich dagegen bei der Verkehrsführung in der Sendlinger Straße: Statt einer herkömmlichen Fußgängerzone setzt die Bürgerliche Mitte auf "Shared Space" - ein eher in alternativen Kreisen favorisiertes Modell, bei dem Autofahrer, Radler und Fußgänger gleichberechtigt denselben Verkehrsraum nutzen.

Es ist nicht unwahrscheinlich, dass die neuen Fraktionsmitglieder ihre angeblich zu kurz gekommenen Ansichten nun bei der Bürgerlichen Mitte unterbringen. Dann könnte Caim ihre Stimme erheben, wenn es wieder einmal um Einschnitte beim städtischen Klinikum geht. Die Stadträtin, früher in Harlaching tätig, will auf jeden Fall eine Schrumpfung "ihres" Krankenhauses verhindern.

Einst, zu Oppositionszeiten, entsprach dies dem Kurs der CSU. Caim saß damals im Klinik-Aufsichtsrat. Inzwischen geben in der CSU andere den Ton an. Der Arzt Hans Theiss etwa, der zusammen mit der SPD durch das vom Stadtrat beschlossene Sanierungskonzept eine Pleite des Klinikums abwenden will. Eine Beibehaltung des Status quo ist darin nicht vorgesehen, das Defizit soll runter.

Bislang sorgte die Bürgerliche Mitte nicht unbedingt für großes Aufsehen im Münchner Stadtrat. Die Opposition leidet unter der Zersplitterung in zahlreiche kleine Grüppchen, da fällt es oft nicht weiter auf, wenn auch Altmann ans Mikrofon tritt. Der Fraktionschef hofft nun, dass alles anders wird, dass seine Stimme mehr Gewicht erhält. Lupenrein konservativ wird es aber wohl auch künftig nicht zugehen. Der einstige SPDler Assal verkündete am Mittwoch demonstrativ: "Ich habe meine politische Haltung nie geändert."

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SZ vom 31.03.2016
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