Süddeutsche Zeitung

Stadtpolitik:Offener Machtkampf in der Rathaus-SPD

Lesezeit: 3 min

Von Heiner Effern und Dominik Hutter, München

In der SPD-Stadtratsfraktion ist ein offener Machtkampf ausgebrochen. Nach Informationen der Süddeutschen Zeitung will bei der turnusmäßigen Vorstandswahl am kommenden Montag der bisherige Vize Hans Dieter Kaplan den amtierenden Chef Alexander Reissl herausfordern. Hintergrund ist offenbar eine in Teilen der Partei vorherrschende Unzufriedenheit mit dem als autoritär und selbstherrlich empfundenen Führungsstil Reissls, der seit 2008 an der Spitze der Fraktion steht.

Die SPD-Stadträte, die am Montagabend über die Situation diskutierten, haben sich bis zur Wahl selbst einen Maulkorb auferlegt. Selbst erfahrene und mit Machtkämpfen vertraute Stadträte gaben sich äußerst schmallippig. Herausforderer Kaplan äußerte sich zu seiner Kandidatur auf Anfrage nicht. "Die Fraktion wird nächste Woche nach der Wahl mit dem Ergebnis an die Öffentlichkeit gehen", gab der 60 Jahre alte Stadtrat lediglich die offizielle Sprachregelung der Fraktion wieder. Der angegriffene Reissl bestätigte jedoch indirekt die Gegenkandidatur. Es sei ein "völlig normaler demokratischer Vorgang, dass sich mehrere Kandidaten um ein Amt bewerben".

Reissl polarisiert die Sozialdemokraten seit Langem. Einst als Grünen-Fresser in der rot-grünen Koalition verschrien, scheint der 58-Jährige mit seinem CSU-Pendant Hans Podiuk den idealen Regierungspartner gefunden zu haben. So manchem Sozi ist das Verhältnis allerdings zu eng: Vieles, was in der SPD-Fraktion besprochen wurde, werde anschließend eigenmächtig und hinter verschlossenen Türen in Absprache mit der CSU wieder gekippt, lautet eine verbreitete Kritik. Manchmal erfahre die SPD-Fraktion auch erst im Nachhinein, was Reissl und Podiuk längst miteinander ausgekartelt hätten. Oft sei selbst der Rest des Fraktionsvorstands nicht informiert - was nun den Vorstoß des Vizevorsitzenden Kaplan erklären könnte.

Dieser...

Alexander Reissl, derzeit Fraktionschef: Daheim am Abendbrottisch wurde über die Ostverträge diskutiert, als sich Alexander Reissl (Foto: Peljak) für die SPD-Mitgliedschaft entschied. 16 Jahre war der gebürtige Münchner damals alt, und bereits vier Jahre später begann er seine langjährige Ochsentour im Moosacher Bezirksausschuss, dessen Vorsitz er schließlich übernahm. Reissl und Moosach - das gehört bis heute untrennbar zusammen, der SPD-Mann wohnt seit seinem ersten Lebensjahr in dem Stadtteil im Nordwesten Münchens. 1996 wechselte der Vater zweier Kinder in den Stadtrat, seit 2008 ist er Vorsitzender der Fraktion und damit einer der mächtigsten Männer im Rathaus am Marienplatz. Reissl ist ein Allrounder der Kommunalpolitik, er ist stets gut vorbereitet und würde sich selbst auch das Amt des Oberbürgermeisters zutrauen. Vor der Wahl 2014 hatte er seinen Hut in den Ring geworfen. Als erfahrener Parteistratege zog er aber rechtzeitig zurück, als sich eine Niederlage gegen den damaligen Wirtschaftsreferenten Dieter Reiter abzeichnete.

...oder jener

Hans Dieter Kaplan, derzeit Stellvertreter: Parteiintern ist er der Hannes: der eher zurückhaltende Mann mit seiner vollen grauen Haarpracht, der ganz und gar nicht wie der typische Parteikarrierist wirkt. Kaplan (Foto: SPD) ist in Memmingen geboren, wohnt aber seit 1976 in München. 1980 trat er in die SPD ein. Sein kommunalpolitisches Revier war jahrelang der Stadtteil Maxvorstadt, dort wirkte der SPD-Mann im Bezirksausschuss mit. Der Gymnasiallehrer hat unter anderem Philosophie und Logik studiert, politisch deckt er ein breites Themenfeld ab. 1990 erstmals in den Stadtrat gewählt, war er zunächst kinder- und jugendpolitischer Sprecher seiner Fraktion, dann sozialpolitischer und seit 2000 finanzpolitischer Sprecher. 2008 kam das Amt des stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden dazu. Kaplan gilt als überzeugter Kämpfer für Bildung und soziale Gerechtigkeit, er hält aber auch eine solide Haushaltsführung für unabdingbar. Auffallend ist seine schnelle Art zu sprechen, so schnell, dass er sich gelegentlich selbst verhaspelt und ganze Silben verschluckt.

Die Kritik, Reissl treffe gerne einsame Entscheidungen, ist nicht neu. Auch das Personaltableau für die Wahl der Referenten wurde einst zunächst im kleinen Kreis beschlossen und erst anschließend der Fraktion verkündet. Dazu kommt der Dauerzwist mit dem Münchner Parteivorstand, über dessen Einwürfe sich Reissl gerne hinwegsetzt.

Erst kürzlich hatte Unterbezirkschefin Claudia Tausend moniert, die Fraktion setze sich bei der Besetzung der Vorstandsämter für die städtischen Wohnungsbaugesellschaften dem Vorwurf der Postenschacherei aus. SPD und CSU haben vereinbart, dass bei GWG und Gewofag Christian Amlong (SPD) und Max Straßer (CSU) zum Zuge kommen - in den Augen des Parteivorstands ein inakzeptabler Deal. Reissl will dennoch daran festhalten, die Fronten sollen inzwischen komplett verhärtet sein. Ähnlich lief es vor einigen Monaten beim Thema Stolpersteine: Trotz eines positiven Votums des Parteivorstands für diese Form des Gedenkens entschied sich die Fraktion auf Betreiben Reissls dagegen.

Der langjährige Moosacher Bezirksausschussvorsitzende Reissl galt bereits vor der Kommunalwahl als angezählt. Allerdings räumen auch seine Gegner ein, dass es im Rathaus nur wenige gibt, die so kompetent und ausgebufft Kommunalpolitik betreiben können wie Reissl. Der Sparkassenangestellte kann politische Zusammenhänge sehr rasch analysieren und durchaus wirkungsvoll am Rednerpult zuspitzen. Zudem wünschen sich im Rathausbündnis viele Sozialdemokraten einen starken Gegenpart zu dem erfahrenen und ebenfalls gut vernetzten CSU-Fraktionschef Podiuk. Reissl ist als erklärter Freund der Parteidisziplin ein verlässlicher Zuarbeiter für Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD), gegen den er einst parteiintern kandidierte.

Bislang ist unklar, wie groß in der Fraktion die Unterstützung für Kaplans Kandidatur ist. Der Finanzsprecher kann ebenfalls langjährige kommunalpolitische Erfahrung vorweisen, wie Reissl war er jahrelang im Bezirksausschuss tätig. In Stadtratssitzungen wirkt er stets gut vorbereitet, seine Anträge sind sorgsam ausgearbeitet. Allerdings gelten Kaplans Rednerqualitäten als ziemlich ausbaufähig, zudem wünscht sich mancher in der SPD einen Generationenwechsel. Kaplan sei "keine klassische Führungsfigur", sagt ein Genosse. Sinnvoll sei die Gegenkandidatur aber allemal - und sei es nur, um Reissl zu zeigen, dass es so nicht weitergehen kann. Große Vorbereitungen für seine Kandidatur hat Kaplan offenbar nicht getroffen. Es ist üblich, sich vor einem solchen Schritt einer breiten Zustimmung zu vergewissern und sozusagen Truppen zu sammeln. Davon hat in der SPD aber niemand etwas mitgekriegt.

Neben dem Vorsitzenden werden am Montag auch dessen Stellvertreter gewählt. Derzeit gibt es zwei - Kaplan sowie Beatrix Zurek, die demnächst aber die Leitung des Referats für Bildung und Sport übernimmt. Ob Kaplan, falls er Reissl unterliegt, erneut als Vize antritt, war bislang nicht zu erfahren. Offenbar gibt es aber gleich mehrere Interessenten für die beiden Positionen. Im Gespräch sind etwa Verena Dietl, Bettina Messinger, Christian Vorländer und Christian Müller. Ganz sicher wird einer der beiden Stellvertreter eine Frau sein. In der Partei wird sehr genau beäugt, wer sich durchsetzt. Denn vier Jahre an der Fraktionsspitze könnten den Ausschlag geben für eine weitere Personalie, die nach dieser Legislaturperiode bei der SPD womöglich ansteht. In der SPD geht man davon aus, dass die Dritte Bürgermeisterin Christine Strobl dann nicht mehr antreten dürfte. Allerdings müsste die SPD dann auch ein so gutes Wahlergebnis erreichen, dass sie diesen Posten auch weiter besetzen kann.

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SZ vom 20.04.2016
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