Süddeutsche Zeitung

München:Wie man Touristen verblüfft und verzaubert

Lesezeit: 8 min

Sie zeigen die schönsten Seiten der Stadt, erklären ihre Geschichte und vermitteln so Lebensgefühl und Stimmung. Sechs Stadtführer erzählen.

Von Kathrin Aldenhoff und Robert Haas (Fotos)

Brezen für die Kinder

Ja, sie spricht Bairisch, das wird schnell klar, sie braucht nur den Mund aufzumachen. Wenn Carmen Finkenzeller Kinder und Jugendliche aus anderen Städten durch München führt, dann ist das schnell ein Thema. Die Jugendlichen lachen über ihr rollendes "r" und über Wörter, die sie selbst nie sagen würden. "Dann geh ich richtig in den Dialekt rein", erzählt Finkenzeller. Fragt die Jugendlichen nach ihrem eigenen Dialekt, was bei ihnen daheim besonders ist, und erklärt, dass ein Brötchen in München Semmel heißt. Und dann hat sie die Jugendlichen meistens schon für sich gewonnen.

Die 49-Jährige arbeitet für Stattreisen und hat sich auf Führungen für Kinder und Jugendliche spezialisiert. Wenn sie eine Kindergruppe durch München führt, dann geht es weniger um Jahreszahlen als ums Entdecken. Erzählt sie von bayerischen Spezialitäten, hat sie eine Breze dabei. Alle schauen sie gemeinsam an, überlegen, was an ihr besonders ist. "Meistens fällt dann jemandem auf, dass da Salz drauf ist. Und das ist für München immer eine gute Vorlage", sagt Finkenzeller. Sie kann dann erzählen, wie die Stadtgeschichte mit dem Salzhandel verbunden ist. Dann besprechen sie noch die Form, dass die Breze ein Fastengebäck war - "und am Schluss ess ma's dann zamm".

Sie lässt die Kinder das Labyrinth im Innenhof des Rathauses durchlaufen, die Tiere an der Mariensäule entdecken und die Jugendlichen in der Frauenkirche die Fenster zählen. Danach erst erzählt sie die Geschichte. Eine besondere Herausforderung: Jugendliche zwischen 12 und 18. "Für die ist das uncool zu zeigen, dass sie Spaß haben. Die muss man erst kriegen."

Carmen Finkenzeller kriegt sie fast immer. Manche mit dem Viktualienmarkt, auf dem die Jugendlichen in kleinen Gruppen die verschiedenen Brunnen entdecken sollen. Manche mit einem Besuch in der Metzgerei, bei dem die Jugendlichen herausfinden sollen, warum die Weißwurst weiß ist und nicht rot, wie viele andere Würste. Und manche sogar mit einem Klecks Obazdn zum Probieren.

Anfassen, schmecken, entdecken - so machen Stadtführungen Kindern und Jugendlichen Spaß. Und eigentlich wäre das auch für Erwachsene gar nicht verkehrt, denn: "Was man selbst herausfindet, bleibt länger hängen", sagt Finkenzeller. Ihr Tipp, um München kennenzulernen: Abkürzungen nehmen, durch Passagen laufen und gucken, wo man rauskommt. "So entdeckt man besondere Ecken und lauschige Plätze."

Im Kostüm für Deutsche

Jedes Jahr im Frühling verbreitet Stadtführerin Claudia Neumaier ihren Liebeszauber in der Stadt. Im weißen Gewand, mit einem Kranz aus Efeu, Flieder und Immergrün auf dem Haar und einer Gruppe Touristen hinter sich, zieht sie durch die Stadt und erzählt von vergessenem Brauchtum, von uraltem Volkswissen, von Fruchtbarkeitszauber für die Felder und Maikönig und Maikönigin.

"Ich verzaubere meine Gäste im besten Sinne des Wortes", sagt Claudia Neumaier. Die 55-jährige Münchnerin ist Historikerin, seit 2002 bietet sie beim Weis(s)en Stadtvogel Stadtführungen im Kostüm an, meist für Touristen aus Deutschland. Die Walpurgis-Führung, die sie als Zauberin leitet, gibt es nicht immer, nur bis zur Walpurgisnacht am 30. April. Vom Isartor über den Viktualienmarkt zum Marienplatz und zum Alten Hof führt sie ihre Gäste in eine längst vergangene Zeit, erzählt die tragische Geschichte von Agnes Bernauer und ihrem Herzog und erklärt, warum auf dem Viktualienmarkt ein Maibaum steht.

Seit Jahren führt Neumaier Touristen durch die Stadt, und sie weiß inzwischen: "Der Viktualienmarkt ist der Ort, an dem jeder glücklich ist." Wenn sie verrät, wo es günstigen Kaffee gibt, wo die besten Brezen, und an welchem Stand das teure Obst ab einer bestimmten Uhrzeit nur noch die Hälfte kostet, dann hat sie alle von Münchens bekanntestem Marktplatz überzeugt. Auch beliebt, gerade bei jüngeren Touristen: die Eisbach-Surfer. Besonders beeindruckend sind die natürlich im Winter, sagt Claudia Neumaier. "Da fragen sich alle: Ja, spinnt ihr denn?" Sie erzählt dann auch, dass es etwas ganz anderes ist, auf einem Fluss zu surfen als auf dem Meer.

"Vor allem den Gästen, die aus Städten kommen, die nach dem Krieg modern wieder aufgebaut wurden, gefällt Münchens Altstadt", berichtet Neumaier. Und auch sie liebt diese Altstadt, weil sie auf kurzen Wegen eine Reise durch Jahrhunderte der Stadtgeschichte ermöglicht, vom Alten Hof aus dem Mittelalter bis zur Maximilianstraße aus der Neuzeit. Was sie zeigt, welche Geschichten sie erzählt, das hängt auch immer von der Touristengruppe ab. "Mein Talent und meine Qualität als Stadtführerin ist es, meiner Gruppe anzusehen, was die gerne hätte."

Ein Tipp von ihr: das Antiquarium in der Residenz. Sie verspricht: "Da bleibt einem der Mund offen stehen."

Eine Brücke für Asiaten

Das Essen ist ein Muss. Schweinshaxen, Würste und dazu ein Bier im Ratskeller oder im Hofbräuhaus, darauf freuen sich die Touristen aus China. "Sie fragen dann immer: Warum ist das Essen so salzig?", erzählt Wendy Wehrle. "Ich sage dann immer, weil das Bier hier so gut ist und man dann mehr davon trinkt." Oft bewundern die asiatischen Touristen die Radwege, dass alles so grün ist im Stadtzentrum, und immer wieder: die Sauberkeit.

Wendy Wehrle führt seit vielen Jahren Touristen aus China, Taiwan, Hongkong und Malaysia durch München. Die 56-Jährige kommt aus Taiwan, ist zum Studium nach München gezogen. Sie weiß: Asiaten lieben München. Das Ordentliche und das für sie typisch Deutsche gefallen ihnen, sie wollen den Marienplatz sehen und Menschen in Tracht, sind beeindruckt vom Neuen Rathaus und der Freundlichkeit der Verkäufer auf dem Viktualienmarkt. "Sehr viele wollen auch einkaufen gehen", sagt Wehrle. Bei Chinesen sind Rimowa-Koffer, Lamy-Füller oder Messer von WMF oder Zwilling sehr beliebt - und in China sind die europäischen Produkte sehr teuer.

Vor 20 Jahren führte Wendy Wehrle asiatische Gästegruppen durch ganz Deutschland und Europa, mehrere Tage lang. Und wenn sie sie am Schluss fragte, wo es ihnen am besten gefallen habe, dann nannten 80 Prozent der Touristen München. Das mag der Münchner für selbstverständlich halten - welche Stadt sollte schon schöner sein als seine? -, angesichts der Konkurrenz von Paris oder Amsterdam ist das aber durchaus bemerkenswert. Wenn eine Gruppe etwas mehr Zeit hat in München, wenn Wehrle die Gelegenheit hat, ihnen noch etwas anderes als die großen Sehenswürdigkeiten zu zeigen, dann bringt sie sie zum Taxisgarten. Oder gibt ihnen den Tipp, im Hofgarten spazieren zu gehen, denn dort seien viele Einheimische. Und sie zeigt ihnen, dass nur wenige Schritte vom lauten Hofbräuhaus entfernt eine kleine Gasse in einen ruhigen Innenhof führt.

Viele Touristen aus Asien wollen von Wehrle wissen, wie München das gemacht hat mit den vielen Flüchtlingen. Sie fragen, wie viel die Menschen im Durchschnitt verdienen und wie viele Arbeitslose es gibt. Diese Fragen zu beantworten, auch das ist ihr Job als Stadtführerin. "Ich liebe meinen Beruf sehr", sagt sie. "Ich fühle mich wie eine Brücke zwischen zwei Kulturen."

Fühlen für Demenzkranke

Mal wieder rauskommen, was anderes sehen. Etwas spüren, die eigenen Gedanken und Gefühle äußern - dieses Erlebnis möchte Ruth Lobenhofer ihren Gästen bieten. Seit mehr als 20 Jahren ist die Münchnerin Stadtführerin. Und seit Kurzem führt sie Demenzkranke und ihre Betreuer durch Münchens Dom. Jahreszahlen, Faktenwissen - das, was normale Stadtführungen vermitteln wollen, fällt bei diesen Führungen weg. "Die Leute sind in einer anderen Lebensrealität", sagt Lobenhofer. "Dort will ich sie abholen."

Ruth Lobenhofer ist Kunsthistorikerin und Sozialpädagogin. Eine Kombination, die es der 57-Jährigen erleichtert, auf Demenzkranke zuzugehen und Verständnis zu haben für ihre Meinungen und Verhaltensweisen, die auf andere oft seltsam und unverständlich wirken.

Ist sie mit ihren Gästen im Dom, dann ist alles vorher abgesprochen. Die Sakramentskapelle zum Beispiel ist dann abgesperrt, so dass die Gruppe dort ungestört sitzen kann. Oder andersrum: Es werden Gitter geöffnet, damit die Gruppe die Kirche so erleben kann, wie es für sie passt. Die Taufkapelle werde dann aufgesperrt, erzählt Lobenhofer. Ihre Gäste dürfen den Taufstein anfassen und raten, was das sein könnte. Manche wissen es, manche nicht.

In einem Schränkchen werden im Dom heilige Öle aufbewahrt. Das Öl für die Taufe, das für die Krankensalbung. Lobenhofers Gäste dürfen an diesen Ölen riechen. "Das ist ein großes Privileg", sagt Lobenhofer. Diese sinnliche Herangehensweise ist es, die ihre Führung besonders macht. Sie entzündet Weihrauch für ihre Gruppe, lässt Glöckchen klingeln und die Demenzkranken das schmiedeeiserne Rosengitter im Dom betasten.

"Demenzkranke haben oft eine permanente Angst, etwas falsch zu machen", sagt Ruth Lobenhofer. "Die löst sich bei unserer Führung auf. Es gibt nichts, was sie falsch machen können. Nichts, was sie sagen, ist falsch." Die Atmosphäre im Dom berühre die Menschen. Das Gefühl, in so einem riesigen Raum zu stehen, sei beeindruckend.

Wenn Ruth Lobenhofer sich entspannen will, dann geht sie zum Alpinum in den Botanischen Garten. Dort blüht es im Frühling so wunderschön. Und wer sich im Winter nach Sonnenstrahlen sehnt, dem empfiehlt sie die Bank am Königsbau der Residenz.

Mythen für Mystiker

Seit zwölf Jahren zeigt Christopher Weidner das mystische München. Meistens sind es Einheimische, alteingesessene Münchner, die einmal eine ganz andere Seite ihrer Stadt kennenlernen wollen. Eine, die ihnen über all die Jahre verborgen geblieben ist. "Hier bin ich schon 1000 Mal vorbeigelaufen, aber das habe ich noch nie gesehen" - das ist einer der Sätze, die Weidner bei seinen Stadtführungen oft hört. "Ich führe die Menschen zu Geheimnissen auf den zweiten Blick."

Zum Beispiel zum Mosaik des Heiligen Onuphrius mitten in der Stadt. Vom Haus am Marienplatz 17 blickt einem der bärtige Mann entgegen. Riesengroß, aber oft übersehen. Christopher Weidner erzählt dann, dass diejenigen, die ihm in die Augen schauen, den ganzen Tag vor Unglück geschützt sind. Onuphrius gilt als einer der Stadtheiligen Münchens. Wichtig ist Weidner, dass er und seine Mitarbeiter von den Stadtspürern die Geschichten, die Mythen, Sagen und Legenden nicht mit einem Augenzwinkern erzählen. Sie überlassen es ihren Gästen, ob sie daran glauben wollen. "Wir zeigen Dinge, die eine Bedeutung besitzen", sagt der 52-jährige Münchner.

Er liebt seine Stadt, kaum einen Ort gibt es, den er nicht gerne herzeigt, sei es Gästen oder Münchnern. Wobei, einer fällt ihm doch ein. Aber auch den würde er zeigen, als eine Art Negativbeispiel. Die Müllerstraße, dort, wo das Kraftwerk umgebaut wurde. Er findet, das alles passe doch eher in ein Gewerbegebiet als in eine solche Struktur. "Wir sollten aufpassen, dass uns das nicht öfter passiert. Beliebigkeit macht unsere Stadt kaputt", warnt er. Gerade weil den Besuchern vor allem gefalle, dass München es nach dem Krieg geschafft hat, etwas von dem Alten wiederherzustellen.

Einer seiner liebsten Orte in München ist der Kabinettsgarten in der Residenz. "Das ist ein moderner Garten, der sich an alter Symbolik orientiert", sagt Weidner. Wer aufmerksam sei, könne dort eine Menge entdecken. Seit 2003 ist der kleine Garten offen für alle. Noch ein Ort, an dem er selbst immer wieder etwas Neues entdeckt, ist das Neue Rathaus. "Diese Formenfülle und Symbolik", schwärmt er. "Was da für Figuren dran sind, das ist wie ein Bilderbuch."

Strauss für Musikliebhaber

Wer mit Marlies Lüpke durch München läuft, der hört es klingen. Richard Wagner, Orlando di Lasso, Richard Strauss, Wolfgang Amadeus Mozart - ihre Leben sind verbunden mit der Stadt. Und die Musikhistorikerin Lüpke zeigt Musikfreunden und Opernfans die Orte, an denen das sichtbar wird. Sie erzählt ihnen die Geschichten von König Ludwig II. und Richard Wagner, lässt am Originalschauplatz ein Werk des in München geborenen Komponisten Richard Strauss erklingen und versucht so, ihren Gästen ein Gefühl für diese Zeit zu vermitteln.

"Diese Verbindung von Orten und Musik, die gefällt meinen Gästen sehr", sagt Lüpke. "Oft wussten sie vorher nicht, dass dieses oder jenes Stück in München komponiert wurde. Danach haben sie eine andere Beziehung dazu." Wenn Lüpke in den Nibelungensälen der Residenz erzählt, wie sich König Ludwig II. schon als Knabe in die Wandgemälde vertieft hat; wie sich später die Freundschaft zwischen dem König und dem Komponisten Richard Wagner, dem Erschaffer des Rings des Nibelungen, entwickelte - dann bekommen ihre Gäste eine Vorstellung davon, wie München mit der Musikgeschichte verbunden ist. "Die Residenz hat über Jahrhunderte die tollsten Musiker angezogen", sagt die 50-Jährige. "Das wissen viele nicht." München habe in dieser Hinsicht viel mehr zu bieten, als Besucher erwarteten. Sie selbst stammt aus Bremen, lebt aber seit 25 Jahren in München - und liebt die Stadt. Vor zehn Jahren hat sie sich auf diese besonderen musikalischen Stadtführungen spezialisiert.

Eine Sache aber gibt es, für die schämt sich Lüpke ein bisschen, wenn sie Gästen München zeigt: dass die Gedenktafel für Richard Strauss im Eingangsbereich eines Parkhauses am Altheimer Eck hängt - gegenüber vom Kassenautomaten. "Er hat etwas anderes verdient", sagt sie. Das Geburtshaus des Komponisten gibt es nicht mehr, an seiner Stelle steht nun eben das Parkhaus. Aber einen Brunnen für den Komponisten, den gibt es: in der Fußgängerzone, vor der Alten Akademie. Darauf sind Szenen aus Strauss' Oper Salome zu sehen.

Und die Musikhistorikerin hat einen Geheimtipp für einen Ort, von dem kaum einer weiß, dass dort einst berühmte Musiker spielten und dirigierten. "Im bayerischen Innenministerium befinden sich die wunderbar erhaltenen Überreste des legendären königlichen Odeons."

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Quelle:
SZ vom 15.04.2019
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