Süddeutsche Zeitung

Stadtführung mit Messgerät:Krach in der City

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Bei einer "Hörexkursion" durchs Westend zeigt sich, welch bedenkliche Schallpegel der Verkehrslärm an der Landsberger Straße verursacht. Doch es gibt auch ruhige Orte im Viertel, etwa am Gollierplatz - oder in einer Kirche

Von Pauline Stahl, Westend

Bremsen quietschen, der verärgerte Fahrer eines Sprinters drückt auf die Hupe. Ein Lastwagen donnert mit hoher Geschwindigkeit vorbei. Es dauert nicht lange, bis der nächste folgt. Dazwischen ein Auto nach dem anderen, längst nicht alle halten sich an die Geschwindigkeitsbegrenzung. Dazu rumpelt eine Trambahn über die Kreuzung an der Landsberger Straße/Donnersbergerbrücke. An einer Ampel steht Gunhild Preuß-Bayer, in der linken Hand hat sie ein Schallpegelmessgerät. Den rechten Zeigefinger hält die Mitarbeiterin des Gesundheitsladens München am Ohr, als wollte sie sagen: "Hört genau hin, wie laut es hier ist!"

Umrundet ist sie von den Teilnehmern der "Hörexkursion", die der Laden jetzt durch das Westend angeboten hat. Das Ergebnis ist nicht weiter erstaunlich - auf 80 Dezibel geht das Messgerät hoch. "Und hier wohnen Leute", macht Preuß-Bayers Kollegin Maria Ernst die Problematik klar. Denn schon eine dauerhafte Einwirkung von 65 Dezibel auf das menschliche Gehör gilt als ein erhöhtes Risiko für Erkrankungen. "Auch wenn einen der Lärm zunächst nicht zu stören scheint, hat er seine Auswirkungen auf unsere Gesundheit", sagt Ernst. Durch Lärm entstehender Stress und Schlaflosigkeit können dann zu Herzkreislauf- und Stoffwechselerkrankungen führen.

Mindestens ein Mal im Jahr veranstaltet der Gesundheitsladen gemeinsam mit dem Münchner Forum - einem Diskussionsverein, der sich mit Fragen der Stadtentwicklung beschäftigt - die Hörexkursion, immer in einem anderen Stadtteil Münchens. Damit gehört er thematisch zum "Tag gegen Lärm", der in diesem Jahr am 24. April stattfand. Ziel ist es, auf die Auswirkungen des Lärms auf Mensch und Umwelt aufmerksam zu machen. Damit sollen Menschen generell darin gefördert werden, nachhaltig ein lärmbezogenes Umweltbewusstsein zu entwickeln. Gerade weil das Thema Lärm nach Maria Ernsts Einschätzung weder in der Stadt- noch in der Bundespolitik eine Rolle spielt, seien solche Aktionstage besonders wichtig.

Dass man als Fußgänger kaum bewusst auf die Lautstärke an den Straßen achtet, findet Carolin Burghart. Sie nimmt wegen ihres Interesses an außergewöhnlichen Stadtführungen an der Exkursion teil. "Das ist jetzt wirklich mal ein anderer Aspekt", sagt sie. Während die Augen beim Laufen natürlich offen seien, stelle sie die Ohren meist ab und achte gar nicht auf die Geräuschkulisse, die sie umgibt. Häufig stehe sie aber auch an schönen Ecken und denke ganz bewusst: "Wie toll wäre dieser Ort ohne Straßenlärm."

Die gibt es, auch an der Landsberger Straße, allerdings muss man sich nach Drinnen begeben, zum Beispiel in das Gebäude der AOK. Nur das Klappern der Tastaturen, ein klingelndes Telefon und das leise Murmeln von Mitarbeitern sind zu hören. Der Krach der Züge, der dröhnenden Autos und Lkw dringt dank guter Lärmdämmung kaum in die Büros, wie die Hörexkursionsteilnehmer erfahren. Zirka 50 Dezibel zeigt das Schallpegelmessgerät an. Erst beim Öffnen der Fenster geht das Getöse wieder los. Knatternd fährt ein Motorrad vorbei - die Zahl auf dem Messgerät steigt auf knapp 80 Dezibel an. Lüften können die Mitarbeiter der AOK trotzdem. Denn die meisten Fenster in dem Gebäude sind doppelt verglast. Öffnet man das Fenster, dringt durch zwei schmale Schächte in frische Luft in die Büros. Geräusche von draußen prallen größtenteils ab.

Auch wer an einem ruhigen Ort abschalten will, wird im Westend fündig. Ein Spielplatz, daneben eine grüne Liegewiese umgeben von hohen Bäumen. "Das ist eine Oase", findet Ernst. Wenn auch nicht groß, bietet der Gollierplatz etwas Erholung vom Großstadtgetöse: 50 Dezibel zeigt das Gerät an dem Park. Das lauteste Geräusch ist das Zwitschern der Vögel. Übertreffen kann das nur noch der Innenraum der anliegenden Kirche. Auf 33 Dezibel geht die Anzeige des Messgeräts dort runter.

Wer einen sonnigen Tag nicht in der Kirche verbringen möchte, kann es mit "Soundscaping" versuchen: Dabei übertönen angenehme die lauten und störenden Geräusche. Am Gollierplatz geht das am Nymphenbrunnen. Wer ganz nah rangeht, hört irgendwann nur noch das Plätschern des Wassers. Das vorbeifahrende Auto fällt kaum noch auf. Es macht den Eindruck, als würden auch die Teilnehmer der Exkursion nach dem akustischen Erkunden der Landsberger Straße und Donnersbergerbrücke wieder ein wenig entspannen.

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Quelle:
SZ vom 13.05.2019
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