Süddeutsche Zeitung

Sportvereine:Doppelte Buchführung

Lesezeit: 3 min

Neun Münchner Sportvereine geraten wegen unklar formulierter Pachtverträge mit der Stadt in finanzielle Schwierigkeiten. Nun soll eine Neufassung für bestehende und neue Kontrakte das Problem lösen

Von Ulrike Steinbacher, München

Einerseits haben sie aufgeatmet, die Mitglieder des SV Helios Daglfing bei ihrer Versammlung kurz vor Weihnachten: Der Verein muss doch nicht in die Insolvenz, der Streit mit der Stadt München um die Rückzahlung von 130 000 Euro an Zuschüssen plus Zinsen wurde mit einem Vergleich beigelegt. Andererseits aber waren die Helios-Leute sauer, dass sie sich dieses Ergebnis erst mit Hilfe ihres Anwaltes hatten erstreiten müssen. Denn dass mit den Verträgen etwas nicht stimmen könne, das habe einem "der gesunde Menschenverstand von Anfang an gesagt", findet Präsident Xaver Finkenzeller.

So vernichtend fällt das Urteil des Referates für Bildung und Sport (RBS) natürlich nicht aus, schließlich hat es die so geschmähten Verträge formuliert. Dass es Probleme gibt, räumt die Behörde aber ein, allerdings sieht sie die eher in der Umsetzung: "Die Frage der Verwaltungspraxis (. . .) blieb in der Anlaufphase offen". Heißt im Klartext: Die Stadt gab den Vereinen Zuschüsse für ihre Sportanlagen, sagte ihnen aber nicht, dass sie damit nur 50 Prozent der Betriebskosten zahlen dürfen und den Rest selbst drauflegen müssen. Das stellte sich erst nach einigen Jahren heraus, die Stadt erhob Rückforderungsansprüche - und auf einmal stand der SV Helios Daglfing vor einem riesigen Finanzloch.

Dabei geht der ganze Ärger auf eine gute Idee zurück, von der eigentlich beide Seiten profitieren sollten. 1993 entschied der Stadtrat, städtische Sportanlagen an Vereine zu verpachten, die sie in Eigenregie betreiben wollten. Damit sparte sich die damals ziemlich klamme Stadt die Betriebskosten, und die Vereine bekamen das Hausrecht auf ihren Anlagen. Zugleich konnten sie billiger wirtschaften, schon wegen der ehrenamtlichen Arbeit der Mitglieder. Die Stadt gewährte auf zehn Jahre eine Anschubfinanzierung: Die Vereine bekamen in den ersten vier Jahren das Fünffache des regulären Unterhaltszuschusses, bis zum elften Jahr sank die Unterstützung dann langsam auf Normalniveau.

Neun Vereine insgesamt ließen sich für das Modell begeistern und unterschrieben Erbpachtverträge für ihre Sportanlagen. Der erste war im Jahr 1999 der SV Schwarz-Weiß 1931 München. Dem Verein aus Berg am Laim erging es ähnlich wie später dem SV Helios und dem SV Gartenstadt Trudering. Sie alle haben ihre Anlagen inzwischen zurückgegeben, sie alle standen am Ende mit Schulden im sechsstelligen Bereich da.

Grund dafür war, dass die Anschubfinanzierung unter die Sportförderrichtlinien fiel, zumindest interpretierte die Stadtverwaltung das so. Für die Vereine hieß das, sie mussten 50 Prozent der Betriebskosten selbst tragen, durften sie also nicht ausschließlich aus dem Zuschuss finanzieren. Nur: Gesagt hatte ihnen das keiner. "In den Übergabeverhandlungen wurden die Vereine hierauf nicht hingewiesen", stellt das RBS selbst fest, "auch das Informationsblatt enthielt keinerlei Hinweis auf die (. . .) 50-Prozent-Regelung."

Ans Licht kam das Problem, als der SV Schwarz-Weiß einen Sanierungsantrag stellte. Die Bezirkssportanlage an der Fehwiesenstraße, errichtet 1956, ist Münchens älteste. Bei der Begehung stellte die Stadt Pflegemängel fest und forderte Zuschüsse zurück. Erst dann, das war 2009, wurden laut RBS ein "indirekter Hinweis" auf die 50-Prozent-Regelung und ein Passus in den Vertrag aufgenommen, dass die Vereine Rücklagen bilden müssen. Beim SV Helios Daglfing, der die Anlage an der Westpreußenstraße 2009 übernahm, entwickelte sich das Problem aus ungünstigen Bedingungen: Es war die Zeit explodierender Energiepreise, als die Zuschüsse nach vier Jahren vertragsgemäß sanken, gerieten die Finanzen in Schieflage. Also wollte der Verein das Gelände zurückgeben. Erst 2014 bei den Verhandlungen wies die Stadt auf ihre Rückforderungen hin.

Inzwischen hat das RBS festgestellt, dass es für vier weitere Vereine "gravierende Einschnitte" mit sich brächte, würde die Stadt auf der 50-Prozent-Regelung beharren. Der Stadtrat hat im Dezember sein Plazet zu einer Neufassung gegeben, für bestehende und für künftige Verträge: Alle Vereine dürfen die Anschubfinanzierung der ersten zehn Jahre komplett für den Unterhalt verwenden; danach müssen sie 30 Prozent aus Eigenmitteln aufbringen.

Dass die fünf Vereine, die ihre Anlagen noch immer pachten, jetzt finanziell über die Stränge schlagen, erwartet das RBS nicht. Sie hätten den "Erfolg des Modells" ja "bereits unter Beweis" gestellt. Außerdem neige sich die Übergangsphase von zehn Jahren bei den meisten dem Ende zu. Für den SV Untermenzing ist sie schon vorbei, bei der DJK Pasing 03 endet sie 2016, beim FC Alte Haide und der Freien Turnerschaft Gern 2018. Nur der TSV Solln hat noch sechs Jahre vor sich, doch seine Rücklagen betragen etwa 170 000 Euro. Der FC Sportfreunde München beendete das Experiment an der Säbener Straße schon 2013.

Und die drei Vereine mit den größten Finanzproblemen bekommen unter der neuen Regelung sogar noch Geld, das die Stadt einbehalten hatte: der SV Gartenstadt 60 000 Euro, Helios und Schwarz-Weiß 30 000 Euro. "Dafür zahlen wir unsere 20 000 Euro Anwaltskosten selbst", kommentiert Helios-Chef Finkenzeller.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.2798115
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 29.12.2015
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.