Süddeutsche Zeitung

SPD nach der Wahl:"Da muss ein Tanker gewendet werden"

Lesezeit: 3 min

Nach der dramatischen Niederlage will sich die SPD im Kern neu erfinden. Für die Kommunalwahl 2020 soll es eine fundamental andere Kampagne geben als bei der Landtagswahl.

Von Dominik Hutter

Anstand. Das stand auf den Plakaten von Natascha Kohnen, und Florian von Brunn findet, dass man mit "leeren Formeln" keine Wahl gewinnen kann. Viel zu wenig konkret seien die Botschaften im Wahlkampf gewesen, und der Giesinger SPD-Politiker ist froh, dass nun auf der Landesebene alles auf den Prüfstand soll. "Also auch Personen und Inhalte." Angesichts des Gegenwinds aus Berlin, der den Wahlkämpfern seit Monaten um die Ohren weht, fordert der 49-jährige Landtagsabgeordnete zudem: "Wir müssen raus aus der Großen Koalition".

Die Stimmung ist nicht gut unter den Münchner Genossen - wie sollte sie auch nach diesem Wahlabend. "Wir haben wahrscheinlich vier oder fünf Mandate verloren", sagt die Unterbezirksvorsitzende Claudia Tausend über die Münchner SPD, und es gelte nun eine große Aufgabe zu stemmen: "Die SPD muss sich im Kern selber neu erfinden", so die Bundestagsabgeordnete, "da muss ein Tanker gewendet werden." Für wenig hilfreich bei diesem Manöver hält Tausend den für die Wahlkampagne verantwortlichen Parteiverband, die Bayern-SPD. Da gebe es ein "tiefergreifendes Problem", seit gut 15 Jahren schon. In München sind sie deshalb nicht gut auf die Landesebene der eigenen Partei zu sprechen. Viel zu betulich und unauffällig sei die Wahlkampfstrategie gewesen.

"Wir haben seit Monaten gewarnt, dass die Kampagne nicht verfängt", ärgert sich Tausend. Interessiert habe das keinen, der Einfluss aus München sei überschaubar. In Zeiten, in denen Politik stark polarisiert daherkomme, könne die SPD nicht so blass auftreten. Inzwischen hafte der SPD ein Verlierer-Image an, und man wolle doch eigentlich die Partei sein, "in die alle Hoffnungen projiziert werden". Von Brunn berichtet über diverse Münchner, die am Infostand ihre Sympathie für Programm und Kandidat bekundet und trotzdem gesagt hätten: Aber ich wähle euch nicht. "Die Leute hatten das Gefühl: Wenn sie Veränderung wollen, müssen sie Grün wählen."

Die SPD leckt ihre Wunden - wieder einmal. Denn in den vergangenen Jahren hat sich die Partei immer wieder interne Debatten über Programm und Erscheinungsbild auferlegt. So richtig zu Ende geführt wurde keine davon, meist kam dann schon die nächste Wahlschlappe daher. Profil und Präsenz, diese beiden Schlagwörter prägen aktuell die Analyse, an beidem herrsche akuter Mangel in der Sozialdemokratie. Alexander Reissl, der Fraktionsvorsitzende im Münchner Rathaus, kann gut nachvollziehen, warum die SPD bei vielen Leuten eher Ratlosigkeit auslöst. Es helfe nun einmal nicht weiter, sich "in allen möglichen Fragen öffentlich zu zoffen". Dazu komme, dass die Sozialdemokraten zu diversen Themen gleich mehrere Meinungen gleichzeitig vertreten - je nachdem, wen man fragt.

"Man muss Rückgrat zeigen"

In München betrifft das Themen wie die dritte Startbahn oder den S-Bahn-Ausbau, auf der Bundesebene gebe es Beispiele wie das Ehegattensplitting, die Haltung zu Putin und Russland oder zu TTIP. Oder zu Bundeswehreinsätzen. Aus einem solchen Hü und Hott entstehe keine Politik, kritisiert Reissl. "Wenn Politik funktionieren soll, muss auch die Willensbildung funktionieren." Soll heißen: Irgendwann muss die Debatte ein Ende haben, per Abstimmung über das Thema entschieden werden. Und daran hält man sich dann auch.

"Man muss Rückgrat zeigen", findet auch Oberbürgermeister Dieter Reiter. Letztlich sei das alles eine Sache der Glaubwürdigkeit, und es sei höchst angebracht, über diese Schlüsselfrage "auf allen Ebenen eine Generaldebatte zu führen". Themen klarer setzen, lautet daher für Claudia Tausend eine der existenziellen Zukunftsaufgaben für die eigene Partei. Und man muss halt auch vermitteln, was man will, und zwar "zugespitzter als wir das bei der Bayernwahl gesehen haben."

Wofür steht die SPD eigentlich? Ein hoher Prozentsatz der Bayern habe keine Antwort auf diese Frage gewusst, sagt von Brunn. Und das Thema Wohnen sei zwar wichtig und richtig. Auf der Landesebene aber verfange eine solch typische Großstadtproblematik nicht zwingend. Der Abgeordnete findet, dass man das Thema plakativer und gleichzeitig grundlegender angehen müsse. Etwa über einen Milliardenfonds, mit dem der öffentliche Wohnungsbau gefördert wird. Und über eine intensivere Auseinandersetzung mit dem Thema, für das dessen Vorkämpfer Hans-Jochen Vogel steht: eine Reform des Bodenrechts. Vieles habe die SPD im Landtagswahlkampf gar nicht thematisiert: die Integration von Flüchtlingen etwa oder die notwendigen Verbesserungen der Infrastruktur im ländlichen Raum.

Themen setzen, davon ist Tausend überzeugt, funktioniert aber nur, wenn man auch konsequent dranbleibt. "Man muss so ein Thema leben." Präsenz zeigen, auch zwischen den Wahlterminen. Von Brunn findet, dass die SPD "viel mehr mit den Menschen sprechen muss". Strategien dürften nicht nur in Hinterzimmern entwickelt werden. Im Rathaus gibt es bereits Überlegungen, die von Reiter bei seinem Amtsantritt eingeführten Bürgersprechstunden noch auszubauen. Reiter, aber auch Tausend und Reissl warnen vor öffentlichen Personaldebatten, wie sie nach Wahlniederlagen schon fast obligatorisch sind. Seit ihrem Eintritt in die Partei hat Tausend nach eigenem Bekunden 13 Bundesvorsitzende gesehen. "Das hat unser Ergebnis nicht verbessert."

Auswirkungen auf das rot-schwarze Bündnis im Rathaus erwarten die Sozialdemokraten nicht. Allerdings ist allen bewusst geworden, dass eine alte Weisheit am Bröckeln ist - die nämlich, dass Kommunalwahlen in München anders ablaufen und sich die SPD in ihrer Hochburg keine allzu großen Sorgen machen muss. Der wichtige Urnengang 2020 wird kein Selbstläufer, das ist den Sozis nach dem fatalen München-Ergebnis dieser Landtagswahl bewusst geworden. Tausend will deshalb die München-Wahl selbst und völlig anders organisieren. "Die Kommunalwahlkampagne wird eine fundamental andere sein", noch bei der Parteiratssitzung am Montagabend werde dafür "der Schalter umgelegt". "Jetzt erst recht", laute das Motto. "Wir werden uns aus dem Tal in München herauskämpfen."

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SZ vom 16.10.2018
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