Süddeutsche Zeitung

Soziales:"Zwar ehrenwert, aber keine gute Idee"

Lesezeit: 3 min

Die Caritas bietet mit ihrer Telefon-Hotline für bürgerschaftliches Engagement eine zentrale Anlaufstelle. Bei diesen Beratungsgesprächen geht es nicht nur um die Unterstützung der Flüchtlinge

Interview von Sarah Obertreis, München

Durch die Bilder applaudierender Bürger und eine beeindruckende Welle der Hilfsbereitschaft ist Münchens Hauptbahnhof bundesweit zum Symbol für die deutsche Willkommenskultur geworden. Auch mehr als ein halbes Jahr und Hunderttausende weitere Migranten später sind viele Menschen bereit zu helfen. Die Caritas bietet mit ihrer Hotline für bürgerschaftliches Engagement eine Anlaufstelle für engagierte Münchner. Ein Gespräch mit der Projektleiterin Margit Waterloo-Köhler.

SZ: Sie vermitteln Ehrenamtliche trägerübergreifend in ganz München. Das klingt nach einem komplexen Auftrag.

Margit Waterloo-Köhler: Der Koordinierungsauftrag ist wirklich sehr komplex. Da gibt es zum einen unser Netzwerk "Bürgerschaftliches Engagement für Flüchtlinge", das aus 90 registrierten Einrichtungen besteht. Dazu gehören zum Beispiel die verschiedenen Referate der Landeshauptstadt, der Flüchtlingsrat oder das Beratungszentrum Refugio, aber auch kleinere Organisationen.

Wie können sich die Initiativen in Ihrem Netzwerk registrieren lassen?

Das Sozialreferat der Stadt München und die Caritas müssen der Registrierung zustimmen. Dadurch wollen wir zum einen vermeiden, dass sich rechtsorientierte Gruppierungen einschleichen und andererseits, dass sich in dem Netzwerk profit- orientierte Anbieter tummeln.

Welche Projekte betreuen Sie neben der Hotline noch?

Zu unserem Aufgabenbereich gehören auch die Internetplattform willkommen-in-muenchen.de und natürlich die fünf Caritas-Zentren.

Dort wollen Sie die Menschen umfassend beraten . . .

Genau, denn nur wenn man zufriedene Ehrenamtliche hat, bleiben sie auch längerfristig aktiv. Außerdem wirken gut beratene Menschen als Multiplikatoren, auch gegen rechtsradikale Strömungen.

Seit wann bieten Sie die Hotline an?

Seit 2015 können die Münchner bei uns anrufen. Im vergangenen Jahr gab es noch zwei unterschiedliche Nummern, eine städtische Hotline und die Caritas-Hotline. Im Februar 2016 sind diese beiden Nummern dann zusammengelegt worden. Die Hotline richtet sich aber nicht nur an Menschen, die Flüchtlingen helfen wollen, sondern geht auch darüber hinaus.

Darüber hinaus?

Wir haben festgestellt, dass ungefähr 50 Prozent der Anfragen von Menschen kommen, die sich nicht explizit für Flüchtlinge, sondern ganz allgemein engagieren wollen.

Sie beraten interessierte Bürger also nicht nur, wenn es ums Engagement für Flüchtlinge geht?

Nein, wir verweisen auch auf andere Möglichkeiten des ehrenamtlichen Engagements. Damit beugen wir dem Vorwurf vor, der ja so häufig von der rechten Seite kommt: "Für die Flüchtlinge wird alles getan und die anderen gehen leer aus." Im vergangenen Sommer, als eine riesige Welle der Hilfsbereitschaft durch München ging, gab es auch gar nicht so viele Einsatzmöglichkeiten im Flüchtlingsbereich. Viele Menschen, die auf dem Hype mitgeschwommen sind, hatten keine konkrete Vorstellung davon, was es bedeutet, sich ehrenamtlich für die Geflohenen zu engagieren. Einige wussten nicht, dass man in München auch in anderen Bereichen helfen kann, zum Beispiel bei der Arbeit mit Senioren.

Sie bieten Qualifizierungs- und Schulungsangebote für die Ehrenamtlichen an, die tatsächlich Flüchtlingen helfen.

Es hat sich besonders im vergangenen Jahr gezeigt, dass Menschen, die sich für Flüchtlinge engagieren wollen, großen Wissensbedarf haben. Es müssen Fragen zum Thema Asyl und Gesundheitsschutz beantwortet werden. Man muss die Freiwilligen auch im Umgang mit traumatisierten Menschen schulen. Es hilft den Geflüchteten nicht, wenn man sagt: "Erzähl doch mal von deinen Erlebnissen."

Fällt es manchmal schwer, einem Anrufer das passende Angebot zu vermitteln, vielleicht aufgrund einer zu geringen Qualifikation?

Die meisten können ihre Fähigkeiten gut einschätzen, aber wollen manchmal auf einem ungünstigen Weg helfen. Vieles ist ehrenwert, aber keine gute Idee - zum Beispiel minderjährige Flüchtlinge in die Familie aufzunehmen. Für einen Großteil der jungen Migranten ist München nur eine Zwischenstation. Diese Jungen und Mädchen haben eine schwere Trennung von den eigenen Eltern hinter sich. Wir wollen und müssen vermeiden, dass sie während ihres kurzen Aufenthaltes hier wieder eine enge Bindung knüpfen. Den Kindern und Jugendlichen hilft es mehr, wenn man zum Beispiel Sportangebote schafft.

Heißen Sie es gut, wenn jemand erwachsene Flüchtlinge bei sich aufnehmen will?

Das hängt davon ab, welchen Aufenthaltsstatus die Geflüchteten haben. Normalerweise müssen sie in ihren Unterkünften bleiben. Patenschaften sind die bessere Lösung - vor allem deshalb, weil sie auf Langfristigkeit basieren. Es wird in Zukunft zwar immer noch einen Bedarf an schnellem, spontanen Engagement geben, aber die größere Herausforderung wird die Suche nach langfristiger Hilfe sein. Geflüchtete Eltern brauchen Unterstützung bei Themen wie Pünktlichkeit und Hausaufgaben, bei Wohnraum- und Arbeitsplatzsuche. Wir wollen vor allem Flüchtlinge ermutigen, für andere Flüchtlinge etwas zu tun.

Rufen bei Ihnen auch Leute an, die sich bereits engagieren und dann Rat suchen, wie sie mit bestimmten Situationen umgehen sollen?

Ja, wir haben im letzten Herbst, als sehr viele Geflüchtete ankamen, angefangen, den Ehrenamtlichen Gesprächspartner zur Seite zu stellen. Dieses Angebot wurde sehr stark genutzt. Das lag auf der einen Seite daran, dass viele Ehrenamtliche vor allem am Münchner Hauptbahnhof über ihre Grenzen hinaus gearbeitet haben. Auf der anderen Seite kommen Helfer natürlich auch mit dramatischen Schicksalen in Kontakt. Nachdem die Zahl der Neuankommenden zurückgegangen ist, müssen wir nicht mehr täglich einen Ansprechpartner zur Verfügung stellen, sondern nur noch einmal pro Woche.

Die Caritas-Hotline "Bürgerschaftliches Engagement für Flüchtlinge" ist montags bis freitags zwischen 9 Uhr und 17 Uhr unter der Telefonnummer 0800-000 58 02 zu erreichen.

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Quelle:
SZ vom 14.04.2016
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