Süddeutsche Zeitung

Proteste gegen Münchner Sicherheitskonferenz:Braver als die Polizei erlaubt

Lesezeit: 3 min

Alles war anders bei der Anti-Siko-Demo in diesem Jahr: Die Friedensaktivisten durften direkt vorm Bayerischen Hof protestieren. Und weil sich die Menge vorbildlich an die Coronaregeln hielt, zählte die Polizei äußerst großzügig - und erhielt am Ende ungewohntes Lob.

Von Tom Soyer

Die große Gegendemonstration von Linken und Friedensbewegten gegen die Münchner Sicherheitskonferenz (Siko) war schon Ritual, als diese noch "Wehrkundetagung" hieß, und immer wurde das Hotel Bayerischer Hof am Promenadeplatz zu einer Festung, in der wichtige Persönlichkeiten der Weltpolitik tagten. Die trafen sich, wenn man so will, auch dieses Wochenende wieder dort, allerdings pandemiebedingt nur virtuell - was der Anti-Siko-Demo am Samstag zu neuer und ungeahnter Harmonie verholfen hat: Erstmals seit dem Jahr 2002 durfte wieder direkt vorm Bayerischen Hof gegen Rüstung und Krieg demonstriert werden.

Vorausgegangen war der Kundgebung ein Ringen um Auflagen mit dem Kreisverwaltungsreferat (KVR). Das "Aktionsbündnis gegen die Nato-Sicherheitskonferenz" um Claus Schreer hatte eine Demo für 300 Personen angemeldet, mit Auftaktkundgebung am Marienplatz, Umzug über Diener-, Residenz-, Perusa-, Theatiner- und Maffeistraße zum Promenadeplatz und einer Abschlusskundgebung dort. Das KVR hatte am Freitag wohl recht spät jeweils bis zu 100 Personen für Auftakt und Umzug gestattet, am Promenadeplatz die gewünschten 300.

Tatsächlich verteilten sich am Samstag um 14 Uhr weit mehr als 100 Personen auf dem Marienplatz und hörten, wie eine Rednerin den Kabarettisten Helmut Schleich mit dem Hinweis zitierte, dass die "Siko" ja nicht weg sei, nur weil sie jetzt ins Internet "abwandert". Die nach Meinung der Demo-Teilnehmer offenkundige Sinnlosigkeit von Rüstungsausgaben illustrierte ein anderer Redner mit dem Hinweis, dass bis dato noch keine Panzergranate auch nur ein Coronavirus zerstört habe.

Die Polizei hielt sich dezent im Hintergrund, beobachtete aber sehr genau, dass sowohl die Maskenpflicht als auch die Abstände penibel eingehalten wurden. Auch deshalb wohl wurde recht großzügig gezählt von den Beamten.

Viele Friedensaktivisten reckten Tafeln mit dem Slogan "Lockdown für Rüstung, Militär und Krieg" in die Höhe, und wie üblich dominierten ansonsten neben einigen Regenbogenfahnen vor allem solche die Szenerie, die in Rot gehalten waren, mal mit Hammer und Sichel, mal mit dem Hinweis auf die Partei Die Linke, auf die Deutsche Kommunistische Partei (DKP) oder die Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands. Vertreten waren außerdem Umweltaktivisten von Attac und Extinction Rebellion, die ÖDP und die Gewerkschaft Verdi, Anti-Atomkraft-Aktivisten sowie einige Münchner Friedensgruppen, vor allem das Münchner Bündnis gegen Krieg und Rassismus - und vorneweg, wie immer, ein paar Männer vom "Motorradclub Kuhle Wampe". Die hatten bei der "sich fortbewegenden Versammlung", wie der Demo-Umzug in Amtsprosa heißt, das Privileg, das Polizeifahrzeug ganz vorne mit ihren Bikes zu eskortieren.

Das KVR hatte nur 100 Teilnehmer genehmigt, weil der Umzugsweg einige Kurven nahm und deshalb befürchtet wurde, dass es sich an einzelnen Stellen stauen könnte. Doch die vielen Ordner und die disziplinierten Demonstrantinnen und Demonstranten verhinderten dies so geschickt, dass die Polizei wiederum den sanftest möglichen Umgang wählte: Der Umzug sei nach 180 Teilnehmern quasi vom Rest abgetrennt worden, damit die Gruppe nicht zu groß werde, hieß es aus der Einsatzleitung.

Wundersamerweise war am Promenadeplatz aber dann die Menge wieder so komplett, dass sie drei Viertel der Straße benötigte. Gut möglich, dass die Zahl, die sich die Veranstalter inoffiziell zuraunten - 550 - nicht ganz falsch war. Weil Abstände und Maskenpflicht eingehalten wurden, ließ die Polizei aber gewähren, was der Veranstaltung einen viel entspannteren Charakter als früher verlieh.

"Dass wir heute mal alle ausdrücklich vermummt demonstrieren sollen, das hätten wir uns früher nicht vorstellen können", scherzte Wolfgang Blaschka als Vertreter der Veranstalter ins Mikrofon und erinnerte daran, dass die Zone rund um den Bayerischen Hof immer komplett abgeriegelt wurde. Geschäfte hätten "aus Angst vor Entglasung" sogar Holzplatten vor die Fensterscheiben gebaut. Und heute? Konnte die Demo erstmals wieder direkt vor dem Tagungshotel stattfinden - geradezu sensationell für die Siko-Gegner.

Ungewohnte Komplimente an die Polizei

Inhaltlich blieben die bei ihrem Protest: Gegen "den Westen", der mit Joe Bidens neuen Freundschaftstönen zwar wieder enger beisammen sei, aber halt leider neue gemeinsame Feindbilder weiterentwickle, gegen China und gegen Russland. Ein Verbleib westlicher Truppen in Afghanistan wurde kritisiert, ebenso der Verbleib von US-Truppen in Deutschland. Tobias Pflüger, Bundestagsabgeordneter der Partei Die Linke und zugleich Vertreter der "Informationsstelle Militarisierung" in Tübingen, forderte unter Applaus den Abzug von US-Militär aus Deutschland, "weil wir nicht wollen, dass Drohnenkriege von Deutschland aus geführt werden". Statt einen Militärhaushalt von 53 Milliarden Euro zu verwalten, solle Deutschland mit dem Geld lieber dazu beitragen, "dass allen auf der Welt Impfstoff zur Verfügung gestellt wird".

Rund ums Orlando-di-Lasso-Denkmal blieb alles friedlich, die Anti-Siko-Demo hat am Ende sogar versucht, mit ungewohnten Komplimenten Vorarbeit zu leisten für künftige Demos direkt vor dem Bayerischen Hof. Wolfgang Blaschka, der am Marienplatz noch gegen die strengen Auflagen des KVR gewettert hatte, schwenkte bei seinem Resümee völlig um - und lobte vor den wahrscheinlich 550 Zuhörerinnen und Zuhörern ausdrücklich "die moderate und heute sehr gute Performance der Polizei". Für sein "ganz herzliches Dankeschön" vom Rednerpult an die umstehenden Polizeibeamten gab es auf dem ganzen Promenadeplatz Applaus für so viel Augenmaß und mathematische Flexibilität in Uniform. So lieb hatten sich die Vermummten und die Polizei bei einer Anti-Siko-Demo vermutlich noch nie.

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