Süddeutsche Zeitung

Siedlung Ludwigsfeld:Das Spiel mit der Drohne

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"Es ist wie Formel 1, nur in der Luft": Auf einer Wiese im Münchner Norden surren Quadcopter umher. Technikfreaks wie Alexander Pollinger trainieren dort für die großen Wettbewerbe in der Trendsportart FPV Racing

Von Jerzy Sobotta

Hoch über dem Kopf von Alexander Pollinger surrt es laut, als ob ihn ein Schwarm wild gewordener Wespen attackieren würde. Doch der 20-Jährige sitzt auf einem Campingstuhl und regt sich kaum. Seine Augen werden von einer futuristischen Brille mit einer kleinen Antenne verdeckt, was den 20-Jährigen so aussehen lässt wie Robocop. In den Händen hält er eine große Fernbedienung. Damit steuert er eine kleine elektrische Renndrohne, deren Propeller aggressiv surren. Sie fliegt dicht über dem Boden im Slalom an Fahnenstangen entlang und dann in Loopings durch große Reifen, die auf der Wiese stehen. Pollinger sieht die Welt aus den Augen seiner Drohne, deren Videokamera per Funk mit seiner Brille verbunden ist. Er versucht, die festgelegte Route so schnell wie möglich abzufliegen. Die Regeln sind simpel, sagt er: "Es ist wie Formel 1, nur in der Luft."

Plötzlich heult eine zweite Drohne auf, dann eine dritte und vierte. Pollinger ist nicht der einzige. Neben ihm sitzen noch drei andere junge Männer mit Funkbrillen und Fernbedienungen im Gras. Was nach einem sonderbaren Freilufthobby von Technikfreaks ausschaut, ist eine junge, schnell wachsende Sportart, die immer mehr Anhänger findet. Bei schönem Wetter kommen jede Woche rund ein Dutzend Menschen aus ganz München und dem Umland in die Siedlung Ludwigsfeld, zum Fußballplatz des SV Italia, der versteckt in einem Waldstück an der nördlichen Stadtgrenze liegt. Die Gruppe hat sich den Namen "Munich FPV" gegeben, das steht für "first person view" - den Blick aus der Ich-Perspektive, nach dem die Sportart FPV Racing benannt ist.

Obwohl die schnellen, wendigen Drohnen erst vor einigen Jahren auf den Markt kamen, haben sie sich neben Skateboards, Wakeboards und BMX-Fahrrädern inzwischen ihren Platz im Actionsport ergattert. Hunderte Menschen schauten vergangenes Jahr beim Mash Munich Sportfestival im Olympiapark zu, als Europas beste Drohnenpiloten über dem See um die Wette flogen. Eine pompöse Show, begleitet von einem Moderator und Liveübertragung im Internet. In Amerika gibt es bereits eine professionelle Liga mit Sponsoren und Übertragung im Kabelfernsehen. Bis zu 100 000 Euro könne man dort im Jahr verdienen, sagt Pollinger. Ein Ziel, auf das der 20-Jährige hinarbeitet. Er fährt inzwischen häufig auf Wettbewerbe in ganz Deutschland und den Nachbarländern. An der Qualifikation für die WM in China ist er knapp gescheitert. "Aber für kommendes Jahr habe ich gute Chancen", sagt Pollinger, der bis zu einer Verletzung vor zwei Jahren Tennis als Leistungssport betrieben hat. Große Ambitionen, obwohl der Mechatronik-Azubi erst seit einem Jahr Drohnen fliegt. Doch das ist bei der jungen Sportart nichts Ungewöhnliches. Erst vergangenes Jahr wurde der 15-jährige Australier Rudi Browning Weltmeister.

Während Pollinger Loopings fliegt, sitzt sein zehn Jahr älterer Freund Patrick Rehm an einem Tapeziertisch. Er trinkt Spezi und hantiert mit einem Lötkolben an seiner Drohne herum. "Drohne" sagt hier allerdings niemand, denn für Eingeweihte heißt das Fluggerät wegen seiner vier Propeller "Quadcopter". "Jeder hier baut seinen Copter selbst zusammen", sagt Rehm.

Die Einzelteile dafür kommen aus dem Internet: Motoren, Rotoren, Mikrochips. "Das wichtigste ist das Gyroskop", sagt der 35-Jährige und meint damit einen Sensor, der in jedem Smartphone die Drehung und Neigung misst. Das alles wird verkabelt, verlötet und selbstverständlich selber am Computer programmiert. Schaut man sich die Leute am Spielfeldrand an, kommen einem viele Vergleiche in den Kopf: Rennfahrern, Amateurfunker oder Familienväter, die an ihrer Modellbaueisenbahn herumwerkeln. Eine Mutter ist gekommen, weil sie ihre acht und zwölfjährigen Söhne weg vom Computer und an die freie Luft bekommen will. Es sind Studenten und Softwareentwickler da, Labormanager und Personaltrainer. Sie alle spielen mit Maschinen, die anfangs entwickelt worden sind, um Menschen aus der Luft zu erschießen. Eine Technik, die uns immer noch bedrohlich erscheint, wird hier zum Spielzeug, zu etwas völlig Neuem, das jeder einzelne hier meistern will. Wie fast alle hier, hat Pollinger zuerst ein Video im Internet gesehen und hat erst mal mit einem Flugsimulator am Computer geübt. Dutzende Stunden hat er gebraucht, bis er die Steuerung beherrscht hat. "Dann hat mich der Ehrgeiz gepackt. Denn wenn ich etwas mache, dann richtig", sagt er. Inzwischen ist er der Schnellste aus der Gruppe und trainiert fast jeden Tag. Wenn es draußen nass ist, findet das Training in seinem Keller, in verlassenen Gebäuden oder Tiefgaragen statt.

Der Retrostil ist den Drohnen trotz des technischen Fortschritts geblieben. Das Schwarz-Weiß-Bild in Pollingers Funkbrille flackert, als wäre es eine alte VHS-Kassette. Dann piepst auf seinem Laptop der Countdown - und das Surren beginnt.

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Quelle:
SZ vom 09.12.2019
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